Stille Wasser. Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall by Donna Leon
Autor:Donna Leon [Leon, Donna]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783257607871
Herausgeber: Diogenes
Fürs Erste konnte er sich nichts Besseres vorstellen, als den halben Nachmittag lang ziellos durch die Stadt zu spazieren; dann ging er nach Hause und schlief ein wenig. Nach dem Abendessen erzählte er Paola von der Szene im {185}Krankenhaus und versuchte, ihr seine dunklen Ahnungen zu erklären. Sie saßen noch am Esstisch beim Kaffee, das Geschirr hatten sie neben die Spüle gestellt.
»Nicht ganz klar, das alles«, sagte Brunetti. »Es könnte ein Unfall gewesen sein; durchaus möglich, dass er sich in dem aufgerollten Seil verfangen hat – du erinnerst dich, vor ein paar Jahren ist das auf einem Vaporetto passiert, und der Mann hat dabei ein Bein verloren.« Er wusste selbst, so eine Geschichte half auch nicht weiter, jeder Unfall hatte seine eigenen Ursachen, es gab keine zwingenden Zusammenhänge.
»Sie hat gefragt, ob er mir irgendwelche seltsamen Dinge erzählt hat. Und ob er von ihrer Mutter gesprochen hat. Als sie dann sagte, jetzt vermisse er sie jedenfalls nicht mehr, hätten dir die Haare zu Berge gestanden, glaub mir. Das war befremdlicher als alles, was ich von Casati gehört habe.« Wenn Verzweiflung eine Stimme hätte, dann hatte sie in diesem Augenblick aus Federica gesprochen, und wenn der Tod ihres Vaters das Ergebnis seiner eigenen Verzweiflung gewesen war, war die ihre nur zu verständlich.
»Da kann alles Mögliche dahinterstecken«, sagte Paola.
Brunetti nickte, wandte aber ein: »Gestern, bevor ich ihn gefunden habe, war ich in der Bar am anderen Ende der Insel, wo sie ihn kannten. Einer seiner Freunde erwähnte eine Frau auf Burano, zu der er gefahren sein könnte, worauf ein anderer am Tisch ihm widersprach und schnell das Thema wechselte. Keine große Sache, aber allem Anschein nach wollten sie einem Außenstehenden gegenüber nicht davon reden. Jemand hatte eine unpassende Bemerkung gemacht, mehr Wert maß ich dem in jenem Moment nicht bei. Doch {186}man darf nicht vergessen: Die Inseln sind klein, da gibt es keine Geheimnisse.« Er stellte seine Tasse ab und erhob sich. »Wenn er bei dieser Frau war, wäre dies immerhin ein Zeichen für seine Lebendigkeit, ein Zeichen dafür, dass er noch am Leben teilnahm.«
»Und die Tochter hätte Grund zur Eifersucht gehabt, nicht zur Verzweiflung?«, fragte Paola. »Kommt das eher hin?«
»Ja«, erklärte Brunetti. »Das trifft es sehr viel besser.«
Paola überraschte ihn mit der Frage: »Darf ich etwas Schreckliches sagen?«
»Ja?«
»Überstürztes Handeln ist immer am aufschlussreichsten.«
»Aber das hier ist das Leben, kein Buch.« Brunetti versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie irritiert er war.
»Wie du meinst, Guido«, sagte Paola nur.
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