Spiel mir das Lied vom Wind by Carola Clasen

Spiel mir das Lied vom Wind by Carola Clasen

Autor:Carola Clasen [Clasen, Carola]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: KBV Verlags- und Mediengesellschaft
veröffentlicht: 2011-01-16T23:00:00+00:00


Zwei Tage später, ein Mittwoch, lud Johan van Kessel seine Freunde Adrian und Willem zur Abnahme der neuesten Fotos zu sich nach Hause ein. Es gab Grolsch, Genever, Tomatensalat, Brot und Chips. Beatrix hatte alles vorbereitet und fuhr mit dem Rad zu ihrer Schwester Henny. Sie mochte Johans Freunde nicht. Ihr ging das ewige Technik-Gerede auf den Geist.

Henny hatte zwei kleine Söhne und wollte mit ihrem Mann auf eine Party gehen. Beatrix spielte den Babysitter. Sie las ihren Neffen vor, bis sie eingeschlafen waren, schloss die Türe leise, lief hinunter ins Wohnzimmer und studierte die Fernsehzeitung. Ganz bewusst entschied sie sich für einen deutschen Spielfilm, Wolke Neun, der schon seit einer halben Stunde lief und nicht synchronisiert war. Da sie währenddessen strickte und nur ab und zu aufblickte, nutzten ihr die Untertitel nichts. Aber sie verstand genügend deutsch, um den Inhalt zu verstehen. Thema war die Liebe im Alter. Der Fall war hochdramatisch und erinnerte sie daran, dass zwischen ihr und Johan schon lange nichts mehr gelaufen war.

Kurz vor Schluss läutete das Telefon im Flur. Beatrix ging sofort an den Apparat, weil sie dachte, dass Henny vielleicht nachfragen wollte, ob mit den Kindern alles in Ordnung sei. Auch befürchtete sie, dass ein längeres Gebimmel die beiden aufwecken könnte.

Am Telefon war aber Johan. Er konnte kaum sprechen. Er hörte sich schrecklich an. Eine Sekunde dachte Beatrix, er könnte einen Schlaganfall gehabt haben. Wo steckten Adrian und Willem?

»Du … du … du musst sofort … herkommen«, stieß Johann stockend hervor.

»Das geht nicht, ich kann Jan und Rob doch nicht allein lassen. Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?«

Johan wiederholte seinen Satz, als könne er keinen anderen mehr sprechen. Was war passiert? Beatrix dachte jetzt eher an einen Einbrecher, der ihm die Pistole an die Schläfe hielt und Willem und Adrian in seiner Gewalt hatte.

»Beatrix!«, rief Johan scheinbar mit letzter Kraft.

»Soll ich die Polizei rufen?«

»Nein!« Das Nein war so vehement, dass Beatrix' Befürchtung weitere Nahrung bekam.

»Einen Arzt?«

»Nein! Du …Es ist etwas passiert!«

»Was denn, um Himmels willen!«, schrie Beatrix.

»Das kann ich jetzt nicht sagen.«

»Wo sind Adrian und Willem?«

»Nach Hause.«

»Schon?« Das war ungewöhnlich. Johans Freunde waren schon weg? Normalerweise traf sie sie noch an, wenn sie zurückkehrte.

»Ja. Wir haben uns gestritten.«

»Gestritten?«, wiederholte Beatrix. Adrian und Willem waren friedlich wie Schafe. »Warum denn?«

Johan verschob die Antwort wieder auf später. Beatrix‘ Neugier wuchs. »Pass auf, Johan, ich versuche Henny auf ihrem Handy zu erreichen. Sobald sie mich abgelöst hat, komme ich, ja?«

»Sofort!«, bettelte Johan.

»Johan!«

»Sofort!«

»Das geht nicht.«

»Bitte!«

»Dann komm du hierher!«, schlug Beatrix vor.

»Das geht nicht.«

»Ich verstehe kein Wort. Wir machen es so, wie ich gesagt habe, ich rufe Henny an und melde mich wieder.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte Beatrix auf. Sie kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy, auf dem Hennys Nummer eingespeichert war. Ein Versuch, und sie wusste, dass Henny ihr mehr vertraute, als momentan günstig war, ihr Handy war ausgeschaltet. Beatrix rief wieder Johan an und vertröstete ihn. Er war wortkarg.

»Mach keinen Unsinn!«, ermahnte sie ihn, obwohl er nicht der Typ war, der sich umbringen würde.



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