SPEED Auf der Suche nach der verlorenen Zeit by Opitz Florian
Autor:Opitz Florian [Florian, Opitz]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E Books der Verlagsgruppe Random House
veröffentlicht: 2010-06-05T22:00:00+00:00
Hartmut Rosa: Von Adorno stammt der bekannte und schöne Spruch: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Und dem hänge ich auch ein bisschen an: Es gibt keine individuelle Lösung für das kollektive Beschleunigungsproblem. Deshalb misstraue ich zutiefst allen Entschleunigungsratgebern, die uns nahelegen wollen, dass wir nur unsere Lebensführung ein bisschen ändern müssen, dass wir nur gelassener werden müssten – oder unser Leben simplifizieren, wie ein Bestseller heißt. Es gibt nicht die einfache Strategie. Was es natürlich schon gibt, sind gewisse Weisen des Umgangs damit. Ich glaube, das Beste, was man tun kann, ist, Distanz gewinnen zu diesem Hamsterrad. Distanz gewinnen zu diesem erbarmungslosen Geschehen. Und dafür haben sich Menschen durchaus wirksame Techniken ausgedacht.
Manche gehen drei Wochen in ein Kloster, um sich auch wirklich abzuschneiden von allen Möglichkeiten, um sich vom Internetzugang oder der ständigen Handykommunikation abzuschneiden. Andere machen Yoga, und wieder andere gehen auf eine einsame Berghütte oder so etwas. Wirksam ist tatsächlich eine ganz bewusste Reduktion von Optionen. Sich also in einen Zustand zu bringen, in dem man gar nicht mehr rennen kann. Deshalb sind wir übrigens ja auch mal in den Urlaub gefahren – weg vom Alltag. Denn im Urlaub können wir ganz viele Dinge, die wir immer tun müssen, nicht mehr tun. Das ist eine Voraussetzung dafür, so etwas wie eine Entschleunigungsinsel, das Leben nochmal aus einer anderen Perspektive zu erleben und zu beobachten.
Man kann auch versuchen – das ist vielleicht ein bisschen künstlich, aber durchaus wirksam –, sich das freiwillig zu schaffen, indem man zum Beispiel an einem Tag in den Terminkalender schreibt: »Nichts!«
»Nichts!« bedeutet dann: An dem Tag tue ich nichts. Und »Nichts!« muss dann eben wirklich »Nichts!« bedeuten. Das heißt, man darf den Tag dann nicht heimlich füllen mit »Na ja, da könnte ich mich ja doch noch verabreden oder einen Termin vereinbaren oder so«, sondern man schafft eine Art von Freiraum.
Daran, dass es uns so schwerfällt, das zu tun, sieht man übrigens auch, dass wir uns ganz schön misstrauen. Wir haben Angst davor, uns selbst ausgesetzt zu sein, mit uns selbst zu tun zu haben. Irgendwie haben wir es geschafft, unsere Lebensführung so nach außen zu richten: Wir glauben, dass der Wert der Zeit von außen kommen muss, durch Stimulation, durch Medien, durch Aufgaben, durch Herausforderungen. Dass da auch etwas Wertvolles in uns sein könnte, ist eine Entdeckung, die viele heute gar nicht mehr machen. Aber es ist durchaus wenigstens gelegentlich interessant, das auszuprobieren.
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