Sex macht Spaß, aber viel Mühe by Vladimir Kochergin
Autor:Vladimir Kochergin
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Orell Füssli Verlag
veröffentlicht: 2014-09-05T16:00:00+00:00
Schematische Darstellung der Frequenzzusammensetzung eines beliebigen Geräuschs
Schematische Darstellung der Frequenzzusammensetzung einer schwingenden Saite oder eines schwingenden Hohlkörpers
Parallel zur Entwicklung des Kehlkopfs entwickelten sich im Gehirn Bereiche, die die Klänge des Kehlkopfs analysieren. Das Gehirn beschäftigt sich nicht nur mit der erzeugten Grundschwingung, sondern auch und besonders mit den Obertönen. Je nach Form, Wanddicke und Material eines schwingenden Körpers sind die einzelnen Obertöne verschieden stark. Ein Konservenglas klingt deshalb anders als eine gleich große Blechbüchse. Mal ist z. B. der vierte Oberton besonders stark, mal ist der dritte kaum zu hören. Durch die unterschiedlichen Stärken der einzelnen Obertöne sind verschiede Hohlkörper wie z. B. Kehlköpfe gut voneinander zu unterscheiden – selbst dann, wenn sie gleich groß sind und mit derselben Grundfrequenz schwingen. Wenn ein Gehirn die typischen Klangmerkmale eines Hohlkörpers erfassen will, muss es als Erstes nur die Grundfrequenz erkennen, dann die wenigen dazugehörigen Oberton-Frequenzen analysieren und dazu abspeichern, wie laut die Obertöne im Verhältnis zum Grundton sind. Mit den wenigen sich daraus ergebenden Daten (der Grundfrequenz und den Obertonverhältnissen) kann das Gehirn eine Kehlkopf-Schallquelle jederzeit identifizieren. Im Gehirn hat sich im Laufe der Evolution ein Frequenzrechner für die Kehlkopfanalyse entwickelt – zusätzlich zum bisherigen Geräusch-Erkennungsmechanismus für Rascheln und Plätschern. Mithilfe dieses Frequenzrechners im Kopf können wir andere Menschen rein akustisch eindeutig identifizieren.
Während einige Kehlkopfträger heute stundenlang mit Flatrate telefonieren, waren die ersten Kehlkopf-Signale kurz und prägnant. Wie zum Beispiel der Warnschrei. Um nicht zu Futter zu werden, muss das Signal »Warnschrei« schnell verarbeitet werden. Der Frequenzrechner im Kopf, der den Warnruf erkannt hat, gibt das Signal an das Emotionszentrum für Angst weiter. Das ist praktisch, denn schon vor langer Zeit hatten sich Empfindungen und Emotionen wie Schmerz, Angst und Wut herausgebildet, damit wir schneller reagieren. Der Kehlkopfträger kann nun tun, was er immer tut, wenn er Angst hat. Er kann weglaufen, sich unter Blättern verstecken, auf Bäume klettern oder sich tot stellen. Eine emotionale Bewertung des Kehlkopfklangs »Warnruf« ermöglicht also das Überleben. Lange Zeit konnten sich die Kehlkopfträger darauf verlassen, dass ein gehörter Angstschrei wirklich durch gefühlte Angst ausgelöst wurde. Aber irgendwann gab es Kehlkopfträger, denen es gelang, ihr Stimmorgan bewusst zu steuern und damit gezielt emotionsauslösende Signale zu erzeugen. Wenn Emotionen vorgetäuscht werden können, wird es wichtig, die echten Emotionen aus dem Klang herauszuhören. Jeder kennt das Beispiel des falschen Warnrufs, der den Zweck hat, die Artgenossen vom Futter zu vertreiben. Erdmännchen sind kleine Meister darin. Allerdings können Erdmännchen inzwischen auch einen echten Angst-Warnschrei von einem vorgetäuschten unterscheiden. Bei echter Angst spannen sich die Kehlkopfmuskeln anders an als bei gespielter Angst. Und den Unterschied können Erdmännchen heraushören und reagieren entsprechend. Ist der Warnschrei echt, laufen die Tiere weiter weg und verstecken sich tiefer in der Erde als bei einem gefälschten Warnruf. Wer jemals den echten Angstschrei eines Menschen gehört hat, weiß, dass er sehr viel intensivere Emotionen auslöst, als ein gespielter Angstschrei je könnte.
Wir wissen also jetzt, dass die immer bessere Beherrschung des Kehlkopfs und des Mundes gleichzeitig die Entwicklung des Hörsystems vorantrieb. Tiere konnten die Kehlkopfklänge anderer immer
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