Schwarze Madonna by Xaver Maria Gwaltinger

Autor:Xaver Maria Gwaltinger [Gwaltinger, Xaver Maria]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863585945
veröffentlicht: 2014-11-17T05:00:00+00:00

54 Bär reist

Montagvormittag.

München leuchtete.

Die Filiale der Pius-Bruderschaft lag im Schatten eines Hinterhofes von Schwabing.

Angenehm kühl.

Ich war anders als am Tag zuvor ohne besondere Sprungtechnik in den Zug gekommen. Hatte mich hinten angestellt. Und als der Zug stand und die Leute sich mit ihren Ellbogen hineindrängten, rollte ich das Feld von hinten auf und stieg als Letzter ein. Alte Taktik aus meiner Marathon-Zeit.

Ein junges Ding im Dirndl erhob sich, lächelte mich an, fragte: »Wollen Sie sich setzen?«

Scheiße, wie alt seh ich denn eigentlich aus? Sicher nicht wie achtundsechzig. Höchstens fünfundsechzig.

Ich stemmte meine Augen weg von der sauberen Dirndlfüllung hinauf auf Augenhöhe, sagte: »Ja, dank schön, das ist aber nett von Ihnen!«

Ich kam mir vor wie im Mittelalter. Als die Jungen den Alten noch Platz machten.

Eine Mutter hatte ihr Kind auf dem Schoß. Alle anderen hatten ihr iPad in der Hand und streichelten ihn zärtlich rauf und runter.

Ein junger Mann in Lederhosen plärrte so laut in sein Handy, dass der am anderen Ende es auch ohne Handy verstanden hätte: »Mir fahren jetzt von Kempten weg. Pünktlich. Drei viertel sieben. Um halb neun sind wir in München … Nein, ich vergess es nicht … Bring ich dir mit. Klar.«

Wem bringt er was mit?

Ich kramte eine Flasche Engelbräu aus meinem Rucksack.

Schutzengelbräu.

Sicher ist sicher.

Ich nahm einen Schluck, die Mutter mit dem Kind auf dem Schoß schaute, als wär ich ein Exhibitionist in Aktion.

Mein Blick fiel auf eine BILD-Zeitung. Weit ausgebreitet.

Schlagzeile: Madonna-Klau in Altötting – Setzt Vatikan Kopfgeld aus?

Mein Gott. Sie haben die Schwarze Madonna also immer noch nicht gefunden.

Wo sie sich nur herumtrieb?

Dann schrak ich auf: wenn die Marienjungfrauen deshalb ihre Wallfahrt abblasen?

Wenn überhaupt alle Wallfahrten abgeblasen werden?

Ach nein, sicher haben sie noch ein Double in der Sakristei.

Ich beruhigte mich mit einem Schluck Obstler.

Vielleicht wird sie ja vorher gefunden.

Oder zurückgegeben.

Was fängt man schon mit einer Schwarzen Madonna an?

Ich ließ die Landschaft vorbeifahren, zog mir meine Schutzengelmilch hinein …

Ich schreckte schon wieder auf. Eine Stimme schrie mich an: »In Kürze erreichen wir München Hauptbahnhof. Der Zug endet hier. Die Crew der Deutschen Bahn verabschiedet sich von Ihnen und wünscht Ihnen guten Aufenthalt in München.«

Die iPads wurden zu Ende gestreichelt, ich sagte zu dem Dirndl: »Pfüadi!«

Sie lachte mich an, sagte: »Pfüadi.«

Als ich an der Filiale im Hinterhof der Pius-Bruderschaft ankam, tropfte mir der Schweiß von der Stirn und brannte in den Augen.

Ich blinzelte, las an der Tür: »Pius-Bruderschaft. Wallfahrten. 9 – 12 Uhr und 16 – 18 Uhr werktags«.

Glück gehabt.

Es war kurz nach neun. Ich drückte die Klingel.

Ein Schlüssel drehte sich in der Tür.

Ich war gespannt, wie so ein Pius-Bruder aussieht.

Alt. Blass. Mürrisch. Verdorrt. Pius.

Die Tür öffnete sich, mein Herz stolperte, ich verfiel in Schnappatmung und Panik. Ja, ich hatte Halluzinationen. Ich war verrückt.

In der Tür stand kein Pius.

In der Tür stand eine Pia.

Im Dirndl. Himmlische Füllung.

Blonde Zöpfe im Kreis geflochten.

Zwanzig Jahre jung vielleicht.

Die aus dem Zug. Wo mir den Sitzplatz frei gemacht hatte.

Sie lachte, sagte: »Gell, da schauen S’!«

»Ja, da schau ich!«

Sie saß am Schreibtisch, ich stand davor. Ich schaute. Ihr in den Ausschnitt. Allgäu von der schönsten Seite.

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