Schwarzblende by Zoë Beck

Autor:Zoë Beck [Beck, Zoë]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-03-11T23:00:00+00:00

21.

Niall öffnete die nächste Datei in Serhats Ordner. Es war eine Videodatei, die Cemal seinem Bruder direkt geschickt hatte. Er hatte die Datei »Kill Your Enemy« genannt. Nach zehn Sekunden wusste Niall, warum sie so hieß: Sie begann mit einer Großaufnahme des Gesichts von Ted Stein, einem amerikanischen Journalisten, der vor drei Wochen vom IS geköpft worden war. Das Video seiner Hinrichtung hatte sich millionenfach im Internet verbreitet, auch wenn westliche Medien die Bilder nicht gezeigt hatten und die Betreiber einiger Social-Media-Plattformen jeden sperrten, der das Video verbreitete.

Cemals Aufnahmen begannen sehr viel früher: mit der Auswahl des Orts und der Waffen, als ginge es um ein altertümliches Duell. Drei Männer – mit Kopftüchern und weiter Kleidung – berieten darüber. Niall konnte sie nicht verstehen, weil sie Arabisch sprachen. Das Material war unbearbeitet und nicht geschnitten, es gab deshalb keine Untertitel wie sonst bei den Propagandavideos. Cemal, der Journalist und die drei Männer befanden sich in einem großen, hellen Raum, einem privaten, fast luxuriösen Wohnzimmer mit einladenden cremefarbenen Sofas, Sesseln und Hockern. Der Boden war mit Mosaikfliesen belegt. Im Hintergrund sah man einen Treppenaufgang.

Einer der drei Männer hielt Ted Stein eine Waffe an den Kopf und gab ihm Anweisungen auf Englisch, sich auszuziehen. Stein wusste, dass er hingerichtet werden sollte, und trotzdem tat er, was man ihm sagte. Als er nackt war, traten die Männer ihn, bis er umfiel. Sie traten weiter auf ihn ein und lachten. Den Bewegungen der Kamera nach zu urteilen, trat auch Cemal zu.

Der Mann am Boden rührte sich nicht mehr. Er seufzte nur noch, statt zu schreien. Sie hörten auf. Zwei der Männer packten ihn und stellten ihn auf die Beine. Sie mussten ihn festhalten, damit er nicht wieder umfiel. Sie banden ihm einen orangefarbenen Kittel um, eine Art OP-Hemd, das in einem der Sessel bereitgelegt worden war, fesselten ihn an Händen und Füßen, stülpten ihm eine Kapuze über den Kopf und führten ihn nach draußen.

Der Gefangene wurde auf die Ladefläche eines weißen Pick-ups geworfen, neben eine Panzerabwehrwaffe, die dort installiert war. Einer der Männer setzte sich zu ihm. Cemal stieg mit zwei anderen vorne ein. Er filmte die Gegend, durch die sie fuhren. Niall hätte erwartet, zerstörte Häuser und verlassene Straßen zu sehen. Aber sie fuhren durch eine intakte Wohngegend, Autos kamen ihnen entgegen, Menschen befanden sich auf den Gehwegen, telefonierten, unterhielten sich. Kaum jemand drehte sich nach Cemal und dem Wagen um, in dem er mitfuhr. Pick-ups mit Panzerabwehrwaffen schienen zum Straßenbild zu gehören. Offenbar befand sich der IS schon seit Wochen, wenn nicht Monaten dort.

Sie verließen die Stadt und kamen fast direkt in unbesiedeltes, karges Gebiet. Sand, Staub, Sonne, Niall konnte kaum die Konturen der Landschaft ausmachen. Die Männer unterhielten sich, Musik lief, ab und zu sagte Cemal etwas. Er war als Einziger halbwegs zu verstehen, weil er dem Mikrofon am nächsten war. Was er sagte, klang arabisch, aber er schien sich in der Sprache nicht sicher zu fühlen. Unvermittelt endete die Aufnahme, dann setzte sie wieder ein. Der Gefangene wurde von der Ladefläche gestoßen und landete im Staub.

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