Schmetterling und Taucherglocke by Jean-Dominique Bauby

Schmetterling und Taucherglocke by Jean-Dominique Bauby

Autor:Jean-Dominique Bauby [Bauby, Jean-Dominique]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Paul Zsolnay
veröffentlicht: 1996-12-31T17:00:00+00:00


Der Vorhang

Heimlich beobachte ich meine Kinder, zusammengesunken in meinem Rollstuhl, den ihre Mutter durch die Krankenhausflure schiebt. Ich bin zwar ein etwas zombiehafter Vater geworden, aber Théophile und Céleste sind ganz wirklich, ständig in Bewegung und am Meckern, und ich werde nicht müde, sie gehen, einfach nur neben mir gehen zu sehen, wobei sie das Unbehagen, das auf ihren kleinen Schultern lastet, mit selbstsicherem Getue kaschieren. Im Gehen wischt Théophile die Speichelfäden, die aus meinem geschlossenen Mund rinnen, mit Papierservietten ab. Seine Geste ist verstohlen, zugleich zärtlich und furchtsam, so als habe er ein Tier mit unvorhersehbaren Reaktionen vor sich. Sobald wir langsamer werden, legt Céleste ihre nackten Arme um meinen Kopf, bedeckt meine Stirn mit schallenden Küssen und sagt wieder und wieder: »Das ist mein Papa, das ist mein Papa«, wie einen Zauberspruch. Wir feiern Vatertag. Bis zu meinem Hirnschlag hatten wir nicht das Bedürfnis, dieses aufgezwungene Miteinander in unseren Gefühlskalender einzutragen, aber jetzt verbringen wir diesen symbolischen Tag zusammen, wahrscheinlich um zu bezeugen, daß eine Andeutung, ein Schatten, ein Stückchen Papa immer noch ein Papa ist. Ich bin hin- und hergerissen zwischen der Freude, sie ein paar Stunden lang leben, sich bewegen, lachen oder weinen zu sehen, und der Befürchtung, daß der Anblick dieses ganzen Leids, bei meinem eigenen angefangen, nicht gerade die ideale Unterhaltung für einen zehnjährigen Jungen und seine achtjährige kleine Schwester ist, auch wenn wir in der Familie die weise Entscheidung getroffen haben, nichts zu verharmlosen.

Wir lassen uns im Beach Club nieder. So nenne ich eine Stelle in den Dünen, die der Sonne und dem Wind ausgesetzt ist und wo die Verwaltung die Freundlichkeit hatte, Tische, Stühle und Sonnenschirme aufzustellen und sogar einige Butterblumen auszusäen, die zwischen dem Unkraut im Sand blühen. In dieser Schleusenkammer am Rand des Strandes, zwischen dem Krankenhaus und dem wahren Leben, kann man träumen, eine gute Fee werde alle Rollstühle in Strandsegler verwandeln. »Spielen wir was? Vielleicht Galgenmännchen?« fragt Théophile, und wenn mein Kommunikationssystem schlagfertige Antworten nicht ausschlösse, würde ich ihm gern antworten, daß es mir schon reicht, den Gelähmten zu spielen.

Der scharfsinnigste Einfall wird stumpf und fällt durch, wenn es mehrere Minuten dauert, ihn vorzubringen. Wenn er dann endlich zur Sprache kommt, versteht man selbst nicht mehr recht, was einem so amüsant daran vorkam, ehe man ihn mühsam Buchstabe für Buchstabe diktiert hat. Ungelegen kommende Geistesblitze müssen also ausgespart werden. Das nimmt dem Gespräch seinen quecksilbrigen Schaum, die Bonmots, die man sich wie einen Ball abwechselnd zuwirft, und dieser erzwungene Mangel an Humor gehört für mich zu den Nachteilen meines Zustands.

Na gut, einverstanden mit dem Galgenmännchen, dem Nationalsport der Siebtkläßler. Ich finde ein Wort, ein weiteres, bleibe dann beim dritten stecken. Tatsächlich bin ich mit meinen Gedanken nicht richtig beim Spiel. Eine Welle von Kummer hat mich überwältigt. Théophile, mein Sohn, sitzt brav neben mir, sein Gesicht ist fünfzig Zentimeter von meinem entfernt, und ich, sein Vater, habe nicht das simple Recht, mit der Hand über sein dichtes Haar zu streichen, ihn in seinen flaumigen Nacken zu zwicken, seinen glatten, warmen kleinen Körper ganz fest zu umarmen.



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