Schirach, Ferdinand von by Tabu
Autor:Tabu
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Blau
1
Konrad Biegler stand auf der Terrasse des Zirmerhofs und war schlecht gelaunt. Er hörte dem Bergführer zu. Der Bergführer sah so aus, wie Biegler sich einen Bergführer vorstellte: braun gebrannt, groß, gesund. Er riecht bestimmt nach Seife, dachte Biegler. Der Bergführer hatte eine feste Stimme mit einem leichten italienischen Akzent, es klang angenehm. »Fast 1600 Meter hoch« liege die Terrasse des Hotels, »der Panoramablick« sei »einmalig«, »rund einhundert Gipfel«, die »das Herz höherschlagen« ließen. Hier oben gebe es »herrliche Wiesen« und »idyllische Bergseen«.
Der Bergführer sagte noch viele solche Sachen. Er trug eine rote Jacke aus Polyester mit Kapuze und einem Fuchs auf der Brust. »Funktionskleidung«, dachte Biegler. Der Bergführer nannte die Gebirgszüge: »Brenta, Ortler, Ötztaler, Stubaier«. Biegler war sich sicher, dass der Bergführer alle bestiegen hatte.
Eine Frau mit sehr kleinem Rucksack sagte leise, der Zirmerhof liege so hoch wie die Schneekoppe. Ihre Augen glänzten, während sie den Bergführer ansah. »Nur ohne Schnee«, sagte Biegler und knöpfte seinen Mantel zu.
Biegler war seit 31 Jahren Strafverteidiger in Berlin. Er hatte eine Gras-, Heu-, Hunde-, Katzen- und Pferdeallergie. Er dachte darüber nach, ob er etwas sagen sollte. Die Deutschen stellen die Natur über den Menschen, wäre so ein Satz gewesen. Aber er sagte nichts. Es ging ihn nichts an. Er würde ja nicht auf dem Berg leben müssen, irgendwann könnte er hier weg und zurück nach Berlin fahren. Die Stadt ist die richtige Umgebung für einen Menschen, dachte er. Biegler riss sich zusammen. »Entspannen Sie sich«, hatte der Arzt gesagt.
Vor vier Wochen nach einem Prozesstag war Biegler auf dem Gerichtsflur in Moabit umgefallen, einfach so. Er war mit der Stirn auf eine Steinbrüstung geschlagen und zu Boden gerutscht. Der Arzt hatte ihn in eine Klinik geschickt. Mit anderen »Burn-out«-Patienten hatte er dort im Kreis gesessen, sie hatten sich bunte Wollkugeln zugeworfen, nachmittags hatte er Figuren aus Papier ausschneiden sollen. Biegler hatte sich nach zwei Tagen selbst entlassen.
Dann »wenigstens in die Berge«, darauf hatte der Arzt bestanden, am besten nach Südtirol. Der Arzt hatte ihm aus einem Prospekt vorgelesen: Auf dem Zirmerhof werde Ruhe nicht nur als »Nicht-Lärm« verstanden, sondern als »innere Qualität«, als »Lebenshaltung«. In diesem Berghotel, so der Arzt, hätten sich schon viele erholt: Heisenberg, Planck, Feltrinelli, Trott zu Solz, Siemens und eine ganze Reihe von Schriftstellern und Künstlern. Eugen Roth habe sogar ein Gedicht über das Hotel geschrieben. Biegler hatte ein Zimmer buchen lassen.
Die Hotelgäste verließen jetzt mit dem Bergführer die Terrasse. Biegler stand auf und bog seinen Rücken durch. Alle Stühle auf dem Zirmerhof waren unbequem, und er überlegte, ob dahinter ein Plan stand. Die anderen Gäste – die meisten waren Wanderer – hielten es für weichlich, sich auf die Filzunterlagen zu setzen. Biegler nahm immer zwei davon.
Er zog aus der Tasche seines Mantels ein Buch. Lesen hatte der Arzt nicht verboten. Biegler schlug es auf. Er war schon seit vier Tagen hier, aber er konnte sich immer noch nicht konzentrieren. Das Buch hieß »Positives Denken für Manager«. Seine Sekretärin hatte es ihm zum Abschied geschenkt, es würde ihm guttun, hatte sie gesagt.
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