Schicksalshäppchen (German Edition) by Trojahn Simone

Autor:Trojahn, Simone [Trojahn, Simone]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2019-07-25T00:00:00+00:00

Bruderherz

Die Guten sagen die Wahrheit und die Schlechten, die gehen drauf. Das hat meine Mutter immer gesagt und wahrscheinlich hatte sie damit sogar recht. Die Welt lässt sich nur in Gut und Böse unterteilen, nichts mittendrin, nichts dahinter oder davor. Wer gut ist, bekommt einen Orden, während der Böse irgendwann scheitert und früher oder später auf der Strecke bleibt. Gestern war er dran und heute trifft es mich und morgen wieder einen anderen und übermorgen, übermorgen sind wir vielleicht alle schon tot, da ist die Menschheit womöglich bereits vom Antlitz der Erde gefegt und Gott hat neue Figuren auf das große Spielbrett gestellt, die ihm noch viel besser gefallen und die noch viel mehr nach seinem Ebenbild geschaffen sind. Wer weiß das schon? Und überhaupt: Wen interessiert das eigentlich?

Mein Bruder wollte immer, dass ich mich in seinen Schatten ducke, einen Buckel mache wie eine Katze und mich in der hintersten Ecke seines mächtigen Schattens verkrieche, dort, wo niemand mich mehr sehen und hören kann. Dort, wo ich unsichtbar werde. Unsichtbar. Für ihn war ich das ohnehin.

Zu Weihnachten schenkte er mir einmal eine tote Ratte, schön verpackt in silberblauem Glanzpapier. Unser Hund hatte das Viech irgendwo auf der Müllhalde erwischt und ins Haus gebracht und Larry meinte wohl, das wäre ein besonders geistreicher Streich, den er seinem dummen kleinen Bruder da spielte. Nach der üblichen familiären Weihnachtszeremonie, die aus essen, singen, Geschenke auspacken und wieder singen und zum Himmel stinkender Harmonie im ganz großen Stil bestand, begleitete Larry mich in mein Zimmer, als ich meine Geschenke nach oben bringen wollte. Ich war ziemlich überrascht, da ich schon nicht mehr mit einem Geschenk seinerseits gerechnet hatte (ich selbst hatte ihm ein kleines rotes Modellauto für seine Sammlung geschenkt).

Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, zauberte er auf einmal dieses wunderschöne Päckchen hinter seinem Rücken hervor und wünschte mir grinsend frohe Weihnachten. Ich grinste zurück, bedankte mich, nahm das Geschenk, wog es neugierig in der Hand, überlegte angestrengt, was es wohl sein könnte. Er fragte mich danach, doch ich konnte nur ratlos den Kopf schütteln. Ich hatte wirklich keine Ahnung.

»Mach es auf!«, sagte Larry und er klang beinah schon zu begeistert, was mich von Anfang an hätte stutzig machen sollen.

»Ich muss wieder nach unten«, fügte er hastig hinzu.

»Ich hab Großmutter noch nicht ihr Geschenk gegeben!«

Und weg war er. Ich blieb allein in meinem weihnachtlich geschmückten Zimmer zurück und meine Hände waren ganz feucht, sogar in meinen Achseln hatte sich klebriger Schweiß gesammelt. Mein Herz überschlug sich fast vor Aufregung. Das war im Grunde gar nicht Larrys Stil, dachte ich mir noch. Das schöne Papier, die lange Schleife, sehr liebevoll und ebenso untypisch für meinen großen Bruder, der für gewöhnlich keine Gelegenheit ausließ, auf mir herumzuhacken und mich zum Affen zu machen. Ich öffnete das Päckchen mit zitternden Händen und dabei war ich ganz vorsichtig, nur um das Papier nicht kaputt zu machen. Ha! Jetzt kann ich nur noch darüber lachen, damals fühlte ich mich tatsächlich großartig und hatte neue Hoffnung geschöpft, was mein gespanntes Verhältnis zu Larry anging.

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