Rote Schatten über Münster - Westfalen-Krimi by emons Verlag

Autor:emons Verlag
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863583064
Herausgeber: emons Verlag
veröffentlicht: 2014-10-17T00:00:00+00:00

SIEBEN

Christine fuhr zügig am Schloss vorbei, das zur Westfälischen Wilhelms-Universität gehörte und wo die Studenten in einer altehrwürdigen Umgebung Wissen aufnehmen konnten. Innen glich das Schloss mittlerweile einem alten Schulgebäude, doch von außen bot es eine herrliche Kulisse. Auf dem riesigen Innenhof pulsierte zu jeder Tageszeit das Studentenleben. In Münster gab es keinen zentralen Gebäudekomplex, der die Universität beherbergte, sondern verschiedene Häuser, die sich über die einzelnen Stadtviertel verteilten.

So kurz entschlossen, dass eine Radfahrerin erbost ausweichen musste, bog sie in die nächste Straße ein und hielt vor einem Supermarkt. Ihr war eingefallen, dass sie an Getränken und Lebensmitteln kaum mehr zu Hause hatte als eine verarmte Studentin: eine angefangene Packung Müsli, eine Rolle Vitamin-C-Tabletten zum Auflösen und eine Dose gesalzener Erdnüsse.

Eine halbe Stunde später ließ Christine sich erschöpft auf ihre Wohnzimmercouch fallen und griff nach dem Telefon. Während sie mit der einen Hand die Begriffe notierte, die ihr gemeinsames Brainstorming mit Corwin ergeben hatte, hörte sie am anderen Ende der Leitung nur das rhythmisch unterbrochene Tonzeichen. Birgit war offensichtlich nicht zu Hause. Auch über ihr Handy erreichte Christine die Freundin nicht und zog enttäuscht die Stirn kraus. Sie hatte sich auf einen Austausch mit Birgit gefreut.

Missmutig ging sie in die Küche und machte sich ein Käsebrot. Sie konnte besser nachdenken, wenn sie etwas zu kauen hatte. Dann starrte sie auf ihre Notizen wie eine Wahrsagerin auf eine Hand.

Alle drei Zeremonien waren irgendwann verboten worden. Warum?

Der Geistertanz war ein an sich friedlicher Gemeinschaftstanz, aber die Idee dahinter erschien den Weißen rebellisch. Außerdem war es mit seiner Hilfe zwei Mal gelungen, zerstrittene und desillusionierte Stämme zu einigen und Hoffnung zu vermitteln. Das allein war bedrohlich genug gewesen. Die Peyote-Religion diente der Heilung, aber hier war es wohl der Gebrauch des Rauschmittels, der zum Verbot geführt hatte. Und der Sonnentanz? Eine brutale Selbstkasteiung in den Augen vieler Weißer, und auch Christine sah das so. Sie konnte sich aber nicht vorstellen, dass der Sonnentanz den Indianern aus reiner Fürsorge untersagt worden war.

Viel wahrscheinlicher erschien ihr, dass bei dem Verbot bei allen drei Zeremonien religiöse Gründe ausschlaggebend waren. Die Indianer sollten ihren eigenen Glauben aufgeben und sich dem Christentum zuwenden, was sie zumindest teilweise auch getan hatten. Inzwischen waren viele Indianer Christen, aber sie bewahrten zusätzlich ihre eigenen Rituale und flochten sie einfach mit ein. Hatten auch die Vorfälle in Münster religiöse Gründe? War der Täter ein Fanatiker? Christine stöhnte laut auf. So kam sie nicht weiter, sie wusste viel zu wenig über diese Dinge.

Vehement schob sie den leeren Teller zu Seite und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Delbrock und wohl auch Corwin waren der Meinung, dass der Unbekannte ihr irgendetwas mitteilen wollte.

Der Mörder hatte sich alte Waffen besorgt und damit brutal Rache genommen. Sie war kein Profiler, aber diese Vorgehensweise sprach zumindest für eine gewisse Vorliebe für die dramatische Inszenierung von Handlungen. Da lag der Gedanke nahe, dass er die Zeremonien auch nur aus ganz persönlichen Gründen auserwählte und sie für ihn eine bestimmte Bedeutung beinhalteten. Aber wie passte dazu die Überlegung, dass es sich vielleicht um zwei Täter handelte?

Erneut starrte sie auf ihr Blatt.

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