Rendezvous mit dem Tod by Tallis Frank

Autor:Tallis, Frank [Tallis, Frank]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-12-04T23:00:00+00:00

Als sie die Linke Wienzeile entlanggingen, kamen die vergoldeten Lorbeerblätter des Ausstellungsgebäudes der Sezession in Sicht.

»Seltsam«, sagte Liebermann.

»Was war seltsam?«, fragte Rheinhardt.

»Die ganze Begegnung.«

»Das fand ich nicht.«

»Ihre Antworten …«

»Was war mit ihnen?«

»Sie waren zu perfekt.« Liebermann runzelte die Stirn. »Ausgedacht. Alles passte zu gut zueinander.«

»Du glaubst, dass sie alles erfunden hat?« Rheinhardt sah seinen Freund misstrauisch an. »Warum in aller Welt sollte sie das tun?« Liebermann zuckte mit den Achseln. »Max, wenn einer sich seltsam benommen hat, dann war das nicht sie, sondern du! Warum hast du am Ende diese Frage gestellt?«

Liebermann blieb stehen.

»Erinnerst du dich an ihre Worte, als du dich nach Fräulein Wirths Herrenbekanntschaften erkundigtest? Sie sagte, Fräulein Wirth habe viele gehabt. Fräulein Wirth sei, als sie jünger gewesen sei, eine ausgesprochene Schönheit gewesen. Wie hätte sie das wissen können, wenn sie sie als Halbwüchsige aus den Augen verloren und erst nach einem Jahrzehnt oder mehr wiedergesehen hat?«

»Frau Vogl hat diese Dinge offenbar erfahren, nachdem sie ihre Bekanntschaft wieder aufgenommen hatten.«

»Aber es so auszudrücken. ›Sie war eine ausgesprochene Schönheit.‹ Sie sagte es so, als könne sie sich daran erinnern.«

»Vielleicht hat sie ja eine Fotografie gesehen.«

»Gab es in Fräulein Wirths Wohnung irgendwelche Fotografien?«

»Nein. Aber das muss nicht bedeuten, dass sie nie existiert haben.«

Liebermann schüttelte den Kopf.

»Und warum hatte Frau Vogl ihrem Mann nicht von dem Mann erzählt, den sie vor Fräulein Wirths Wohnung gesehen hatte?«

»Sie hielt es nicht für wichtig, oder sie wollte ihn nicht beunruhigen. Du hast seine Reaktion gesehen. Er ist ein gutes Stück älter als sie und neigt sicher zu Besorgnis, die Eltern angemessener ist als Ehegatten. Ich gewann den Eindruck, er sei beschützend, vielleicht überbeschützend.«

Liebermann ging ein paar Schritte weiter und blieb dann wieder stehen.

»Und noch etwas.« Rheinhardts Miene zeigte, dass er allmählich die Geduld verlor. »Hast du es nicht auch seltsam gefunden, dass Frau Vogl keine Verbindung zwischen den Kleidern Aschenputtels auf den Lithografien und ihrem eigenen Beruf hergestellt hat? Sie war wirklich überrascht, als ich sie darauf hingewiesen habe. Was hat ihr denn dann an diesen Bildern gefallen?«

»Das hat sie dir gesagt. Der Stil des Künstlers.«

»Das versteht sich von selbst. Aber was, außer dem Stil des Künstlers, ließ sie ausgerechnet das Märchen vom Aschenputtel wählen?«

»Max«, sagte Rheinhardt, fasste seinen Freund an der Schulter und schüttelte ihn. »Spielt das eine Rolle? Sie ist keine Verdächtige, verdammt noch mal!«

»Warum hat sie sich dann so … seltsam benommen?«

»Das hat sie nicht!« Rheinhardt tippte seinem Freund an die Schläfe. »Das war alles in deinem Kopf! Ich bin mir sicher, dass Frau Vogl eine sehr interessante Fallstudie abgeben würde. Aber jetzt ist nicht die Zeit, und eine Straßenecke ist auch nicht der Ort. Lass uns ins Café Schwarzenberg gehen. Ich könnte noch einen Kaffee gebrauchen.« Rheinhardt hielt inne und meinte dann noch: »Und etwas dazu vielleicht.«

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