Rameaus Neffe by Denis Diderot

Rameaus Neffe by Denis Diderot

Autor:Denis Diderot [Diderot, Denis]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Zeno.org
veröffentlicht: 2015-06-28T22:00:00+00:00


Hier erzählt Rameau von seinen Wohltätern ein skandalöses Märchen, das zugleich lächerlich und infamierend ist, und seine Mißreden erreichen ihren Gipfel.

ICH: Ihr seid ein Polisson. Laßt uns von was anderm reden. Seitdem wir schwätzen, habe ich eine Frage auf den Lippen.

ER: Warum haltet Ihr sie so lange zurück?

ICH: Weil ich fürchtete, zudringlich zu sein.

ER: Nach dem, was ich Euch offenbart habe, wüßt ich nicht, was ich noch geheim vor Euch haben könnte.[629]

ICH: Ihr zweifelt nicht, was ich von Eurem Charakter halte?

ER: Keinesweges. Ich bin in Euern Augen ein sehr verworfnes Wesen, ich bin es auch in den meinigen, aber selten, und ich wünsche mir öfter zu meinen Lastern Glück, als daß ich mich deshalb tadle. Ihr seid beständiger in Eurer Verachtung.

ICH: Es ist wahr. Mir Eure ganze Schändlichkeit zu zeigen!

ER: Kanntet Ihr doch schon einen guten Teil, und ich glaubte mehr zu gewinnen als zu verlieren, wenn ich Euch den Überrest bekannte.

ICH: Und wie das, wenn's beliebt?

ER: Wenn es bedeutend ist, sublim in irgendeiner Art zu sein, so ist es besonders im Bösen. Man spuckt auf einen kleinen Schelm, aber man kann einem großen Verbrecher eine Art Achtung nicht verweigern. Sein Mut setzt Euch in Erstaunen, seine Grausamkeit macht Euch zittern, man ehrt überall die Einheit des Charakters.

ICH: Aber diese schätzbare Einheit des Charakters habt Ihr noch nicht. Ich finde Euch von Zeit zu Zeit wankend in Euern Grundsätzen. Es ist ungewiß, ob Ihr bösartig von Natur oder durch Bemühung seid und ob Euch die Bemühung so weit geführt hat als möglich.

ER: Ihr mögt recht haben; aber ich habe mein Bestes getan. Bin ich nicht bescheiden genug, vollkommnere Wesen über mir zu erkennen? Habe ich Euch nicht von Bouret mit der tiefsten Bewunderung gesprochen? Bouret ist der erste Mensch in der Welt nach meiner Meinung.

ICH: Aber unmittelbar nach Bouret kommt Ihr?

ER: Nein!

ICH: Also Palissot?

ER: Freilich Palissot, aber nicht Palissot allein.

ICH: Und wer kann wohl wert sein, die zweite Stelle mit ihm zu teilen?

ER: Der Renegat von Avignon.

ICH: Vom Renegaten von Avignon habe ich niemals reden hören; aber es muß ein erstaunlicher Mann sein.[630]

ER: Das ist er auch.

ICH: Die Geschichte großer Personen hat mich immer interessiert.

ER: Ich glaube es wohl. Dieser lebte bei einem guten, redlichen Abkömmling Abrahams, deren dem Vater der Gläubigen eine den Sternen gleiche Anzahl versprochen ward.

ICH: Bei einem Juden.

ER: Bei einem heimlichen Juden. Erst hatte er das Mitleiden, dann das Wohlwollen, dann ein völliges Zutrauen zu gewinnen verstanden. Wir zählen dergestalt auf unsre Wohltaten, daß wir selten unser Geheimnis dem verschweigen, den wir mit Güte überfüllten. Wie soll's nun da keine Undankbaren geben, wenn wir den Menschen der Versuchung aussetzen, es ungestraft sein zu können? Das ist eine richtige Betrachtung, die unser Jude nicht anstellte. Er vertraute deshalb dem Renegaten, daß er mit gutem Gewissen kein Schweinefleisch essen könne. Hört nun, was ein fruchtbarer Geist aus diesem Bekenntnis zu bilden vermochte. Einige Monate gingen vorbei, und unser Renegat verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Als er nun seinen Juden durch so viel Mühe genugsam gerührt, eingenommen, überzeugt hatte, daß kein beßrer Freund in allen Stämmen Israels zu suchen sei.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.