Palzki 09 - Ahnenfluch by Schneider Harald
Autor:Schneider, Harald [Schneider, Harald]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-07-02T04:00:00+00:00
Kapitel 12: Neues aus der Gruft
Wie ich wusste, war die Kirche tagsüber geöffnet. Das große Portal ließ sich mit Leichtigkeit öffnen. Auch Jutta staunte ob der Größe des Innenraums. »Wow, das hätte ich nicht erwartet. Die ist ja riesig!«
»Dann schau mal nach oben zum Drachen.«
Jutta blickte zur Freske. »Da ist kein Drache«, meinte sie schließlich unsicher.
»Was ist denn mit deiner Beobachtungsgabe los, liebe Kollegin? Den Drachen sieht doch jedes kleine Kind sofort.« Ich zeigte ihr das Fabelwesen.
Die Kirche war, von uns abgesehen, menschenleer. Allerdings fiel mir auf, dass die Tür zur Sakristei offen stand. Diese wurde, wie ich wusste, immer verschlossen gehalten.
»Ist hier jemand?«, rief ich laut in Richtung Altar und Sakristei. »Herr Wischniewski, sind Sie hier?«
Wir erhielten keine Antwort. Seltsam war das schon. Ich blickte zu Jutta.
Gemeinsam schlichen wir auf getrennten Wegen zur Sakristeitür. Während Jutta einen Bogen über den erhöhten Altarraum nahm, ging ich auf Zehenspitzen an der Seitenwand entlang. Die Stille hörte sich im Innern der Kirche seltsam an. Ich vermutete, dass irgendwelche Außengeräusche verzerrt hereindrangen. Bis auf’s Äußerste gespannt standen wir schließlich seitlich an der offenen Tür und versuchten hineinzuschauen. Die Sakristei schien leer zu sein. Um nicht als Angsthase dazustehen, gab ich mir den Vortritt und ging vollends in die Sakristei. Unser erster Eindruck bestätigte sich: Sie war leer. Wir vernahmen ein leises Kratzen. War dies die berühmte Kirchenmaus oder handelte es sich um menschliche Geräusche?
»Die Tür zur Gruft steht offen«, flüsterte ich zu Jutta und zeigte auf den Treppenabgang. Jutta tat das Zweitvernünftigste. Sie zog ihre Dienstwaffe. Das Vernünftigste wäre gewesen, Verstärkung anzufordern und abzuwarten. Doch Jutta war mindestens so neugierig wie ich selbst, der wie immer unbewaffnet war.
Gemeinsam schlichen wir so langsam wie möglich die Treppe hinunter. Das diffuse Notlicht warf gespenstische Schatten. Und wieder hörten wir dieses Kratzgeräusch. Wir hatten nur noch wenige Stufen bis nach unten, als wir die Blutlache entdeckten. Je näher wir kamen, desto mehr vervollständigte sich das Szenario. Die Lache endete vor einer liegenden Person, die möglicherweise tot war. Als wir das Geräusch erneut hörten, erschraken wir heftig. Von der Leiche konnte es nicht stammen. Selbst Jutta zitterte unverkennbar. Dennoch krochen wir in gebückter Haltung weiter. Das Gitter zur Gruft von Carl Philipp stand offen. Da sich unsere Augen derweil an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, konnten wir eine Person ausmachen, die gerade im Begriff war, vollends im Lüftungsschacht zu verschwinden. Der Täter musste das Gitter entfernt haben. Jutta nutzte die Gelegenheit, stand auf und eilte zur Gruft.
»Hände hoch, Polizei. Wir sind bewaffnet. Kommen Sie aus dem Loch heraus und heben Sie Ihre Hände hoch.«
Ich wusste nicht, wen ich erwartete. Dass der Mörder altertümliche Kleider trug, da war ich mir sicher. Doch es kam anders. Während der Täter umständlich rückwärts aus dem Lüftungsschacht kroch, erkannte ich die ganze Tragweite des Geschehens.
»Herr Becker, willkommen daheim!«, rief ich lauter als geplant, da meine Worte durch das Echo einen zusätzlichen Hall erhielten.
Jutta schaute fassungslos, doch im gleichen Moment war der Student aus der Röhre herausgekommen und drehte sich zu uns um. Jutta ließ zögernd die Waffe sinken.
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