Noch Zweifel, Herr Verteidiger? (German Edition) by Fred Breinersdorfer

Noch Zweifel, Herr Verteidiger? (German Edition) by Fred Breinersdorfer

Autor:Fred Breinersdorfer [Breinersdorfer, Fred]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Endeavour Press
veröffentlicht: 2015-12-29T16:00:00+00:00


‘Im Namen des Volkes’ werden nur Urteile verkündet. Ein Urteil ist etwas Endgültiges, für die jeweilige Instanz unabänderlich. In einem Urteil wird im Namen des Volkes auf Strafe oder auf Freispruch erkannt. Ja, es wird erkannt. Das ist die Sprache der Juristen. So als genüge es, nur genau hinzusehen, um Recht von Unrecht unterscheiden zu können, um zu erkennen, was mit dem Bürger los ist, der vor den Schranken des Gerichts steht.

In allen Ländern dieser Welt hat die Justiz gelernt, leidlich mit diesen Krücken vorwärts zu kommen – sonst würde es ja genügen, den Urteilsspruch mit der Überzeugung der Richter zu legitimieren. Das schlechte Gewissen braucht den ‘Namen des Volkes’ (manchmal auch den Namen des einen oder anderen Führers), um sich den notwendigen Glanz und die Autorität zu verschaffen.

Beschlüsse der Gerichte dagegen brauchen nicht den ‘Namen des Volkes’; sie ergehen kraft der Autorität des Gerichtes und sind genauso gut oder genauso schlecht, genauso richtig oder falsch wie die Urteile auch. Und sie sind oft von ganz erheblicher Tragweite, wie der Beschluss des Oberlandesgerichts Münchens, mit dem der zuständige Strafsenat die Haftbeschwerde des angeklagten Untersuchungshäftlings Andreas Böhm verwarf.

„Aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung”, las Abel laut und knallte wütend das Schriftstück auf den Schreibtisch. Immerhin, eines muss man der Legitimation in den Urteilen durch den ‘Namen des Volkes’ zugestehen: Der Richter sieht sich vielleicht eher veranlasst, eine eingehende Begründung für sein Diktum zu schreiben. Immerhin.

„Aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung”, wiederholte Abel, zu seinem Hund gewandt, und schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf. „Das diktiert jeder Laie zwischen dem ersten Kaffee im Büro und der Post in drei Minuten”, knurrte er und warf den Beschluss erneut auf den Schreibtisch. „Als ob die Freiheit nichts wäre, als ob ein Tag unschuldig hinter Gittern hocken ein Scheißdreck wäre.” Er fluchte und schimpfte herum, bis sich Jane beschwerte, dass sie bei ihrer Arbeit durcheinander komme.

Abel hatte der Kampf um die Haftverschonung vor dem Prozess verloren. Der Beschluss des Oberlandesgerichts war formal korrekt und nicht mehr mit einem Rechtsmittel anfechtbar. Böhm musste noch eine Woche sitzen bis zu seiner Verhandlung. Da konnte kein noch so engagierter Schriftsatz, kein treffender Beweisantrag helfen, es sei denn, er erweise klar und eindeutig die Unschuld des Angeklagten – nur eine rein theoretische Chance zur Abänderung. Die große, stählerne, träge Maschinerie der Justiz ist unfähig, schnell auf Details zu reagieren. Sie stampft, mahlt und poltert vor sich hin, sie verschlingt immer neue Fakten, Menschen und Schicksale, sie wirft Strafen, Maßregeln und Anweisungen aus

Abel zog die Rollläden in der Küche hoch, die immer noch von der Nacht geschlossen waren, und murmelte sarkastisch: „Fiat justitia, fiat lux .”

Dann brach er auf, nachdem er den Hund gefüttert hatte, packte die Akte Böhm, sein Gesetzeskommentar und einen Ausweis zusammen, um nach Stadelheim zu fahren. Jane sah ihm seufzend nach.

*

Es war ja durchaus nicht so, dass der Rechtsanwalt Abel keine eigenen Erfahrungen mit dem Freiheitsentzug hatte; er war selbst einmal für eine Nacht unter dem Verdacht, ein Mörder zu sein, hinter den berüchtigten Betonmauern eingesperrt gewesen.



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