Napoleons hundert Tage by Müchler Guenter

Napoleons hundert Tage by Müchler Guenter

Autor:Müchler, Guenter [Müchler, Guenter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Biographie & Autobiographie
ISBN: 9783806229653
Herausgeber: Theiss, Konrad
veröffentlicht: 2014-08-02T00:00:00+00:00


Paris schaut zu

Wenn das, was am 19. und 20. März im Herzen von Paris abrollt, eine Revolution ist, dann gab es nie eine, die geräuschloser ablief. Kein Kanonendonner, keine Erschießungspelotons, keine Volksaufläufe! Die Dramatik des Geschehens erschließt sich nur dem, der, wie der Architekt Fontaine, den Hauptpersonen direkt ins Auge gesehen hat: „Ludwig XVIII. hat um ein Uhr den Palast der Tuilerien verlassen; der Kaiser Napoleon ist dort um neun Uhr abends eingezogen. Niemals werde ich die Wirkung dieser so gegensätzlichen und außerordentlichen Szenen vergessen. Welch ein Gegenstand zum Nachdenken!“, schreibt Fontaine in sein Tagebuch.

Paris scheint von dem Szenenwechsel keine Notiz zu nehmen. Auch am Dienstag, 21. März, ist es ruhig auf den Straßen und Plätzen. Vielleicht misstrauen die Menschen dem Frieden. Es ist ja auch nicht leicht zu glauben, dass der König einfach davongelaufen ist und mit ihm die Armee. Wenn es doch so sein sollte, umso besser. Dann bleibt der Stadt die Zerstörung erspart. So denken viele. Sie halten sich geduckt. Man muss klug sein, wenn der Olymp wackelt. Zur Klugheit gehört, die weißen Kokarden vom Revers zu nehmen und die nationalen Abzeichen wieder aus den Truhen zu kramen, wo man sie sicherheitshalber versteckt hatte. Die Budenbesitzer graben in ihren Lagern nach Devotionalien der Kaiserzeit, nach Gipsköpfen, Tabakdosen und dergleichen. Sie müssen so schnell wie möglich die giftigen Bestände in den Auslagen ersetzen, zum Beispiel Karikaturen, die zeigen, wie Napoleon in der mit Blut gefüllten Badewanne sitzt oder wie er als „korsischer Minotaurus“ Rekruten verschlingt. Der Wind hat sich gedreht; man muss aufpassen, dass er einen nicht umbläst.

Die hohen königlichen Funktionäre, die noch in der Stadt verblieben sind, haben sich verkrochen. Sie haben Angst, was man ihnen nicht verdenken kann. Wer will ausschließen, dass sich der Terror von 1793 wiederholt? Man munkelt, Napoleon habe auf seinem Vormarsch gesprochen wie ein Jakobiner. In Autun soll er damit gedroht haben, die Adligen und die Priester zu „lanternieren“. Da ist es besser, in Deckung zu gehen wie der Beichtvater des Königs. Der Abbé Rocher hat sich im zweiten Stock des Tuilerien-Schlosses verborgen und taucht erst am 29. März aus seinem Versteck auf!

Dabei gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Königstreuen etwas zu Fürchten hätten, nicht in Paris. Hier gibt es noch nicht einmal ausgelassene Freudenfeiern, wie man sie in Grenoble oder in Lyon nach Napoleons Eintreffen erlebt hat. Gewiss, im Palais Royal, dem ehemaligen Vergnügungsviertel, wo die Bonapartisten ihre Treffpunkte haben, fließt der Champagner. Im Café Montansier werden Veilchensträuße verteilt, eine Büste des Kaisers wird aufgestellt und große Reden werden geschwungen. Aber wo sind die Prozessionen zu den Tuilerien? Wo bleibt das Vivat der Massen? Vielleicht stimmt es ja, was Heinrich Heine Jahre später über die Pariser schreibt, nach der Juli-Revolution: Sie machten ihre „Emeuten“ bloß bei Sonnenschein. Am 21. März ist das Wetter so schlecht wie am 19. und am 20. Es ist regnerisch, und die Temperaturen gehen über 10 Grad nicht hinaus.

Vielleicht sind die Pariser aber auch bloß erstaunt darüber, dass diese Revolution, wenn es denn eine ist, mit ihnen und mit ihrer Stadt bisher nichts zu tun hat.



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