Mord an der Kaiserburg by Petra Kirsch

Mord an der Kaiserburg by Petra Kirsch

Autor:Petra Kirsch [Kirsch, Petra]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-02-09T05:00:00+00:00


9

Am folgenden Morgen wachte sie kurz nach fünf auf. Aus dem Hinterhof drang ein schepperndes, klapperndes Geräusch. Draußen wütete ein Sturm. Das Morgenrot war heute ein intensives Orange, das sich in Schlieren fluoreszierend vor den schwarzgrauen Himmel schob. Die Bäume ächzten und knarzten, so sehr setzte ihnen der Wind zu.

Es dräut, schoss es ihr durch den Kopf. Sie dachte einen Augenblick nach und stellte fest, dass ihr das altmodische Wort nicht behagte. Es klang so schicksalsergeben, so ehrfürchtig raunend, nach Wagner-Oper. Ob der Wagnerianer Heinrich das auch so empfinden würde?

Schließlich entdeckte sie die Lärmquelle, die sie aus dem Schlaf gerissen hatte: Es war die Klappe einer der Mülltonnen, die der Sturm immer wieder an die Steinmauer schlagen ließ. Heute wird es nichts mit dem Laufen, dachte sie erleichtert.

Während der Kaffee in der Maschine durchtröpfelte, starrte sie zur Burg hinüber, die sich in dem aufgewühlten, wirren Himmel farbenfroh spiegelte. Die drückende Schwere des mittelalterlichen Steingevierts hatte sich über Nacht aufgelöst, die Burg wirkte jetzt wie eine ausgelassene, übermütige Villa Kunterbunt. Die Bogenlampen in der Vestnertormauer sprangen dazu auf und ab, als würden unsichtbare Geister mit ihnen Seil hüpfen.

Im Bademantel stieg sie die Treppen zu den Briefkästen hinunter. Die Tageszeitung verkündete auf der Titelseite eine »ernst zu nehmende Spur im Kindsmord« der Gartenstadt. »Mithilfe von DNA-Analysen … Täter wahrscheinlich aus dem Umfeld der Getöteten … Kripo Nürnberg kann noch nichts definitiv … Geständnis widerrufen …« Irgendwann sind wir alle bis in die letzte Haarspitze erfasst, dachte sie, in einem Zentralrechner gespeichert. Dann hat die Technik unsere Arbeit überflüssig gemacht. Und uns natürlich auch. Sie lief in den Hof und schob die lärmende Tonne in eine windgeschützte Ecke.

Auf dem Weg Richtung Präsidium freute sie sich, dass der Himmel noch nichts von seiner irrlichternden, geheimnisvollen Kraft eingebüßt hatte. Die Straßenlaternen nahmen sich vor dieser spektakulären Kulisse wie Glühwürmchen aus, die sich auf ein Open-Air-Festival verirrt hatten.

Befriedigt registrierte sie, dass das hässliche Gerüst an der Fleischbrücke endlich verschwunden war. Sie war heiter und voller Tatendrang, was sie auf den gestrigen Tag zurückführte: Sie hatte ihre Pflicht gegenüber Röschen erfüllt, ein paar Stunden in anregender Zweisamkeit verbracht und war außerdem überzeugt, im Fall Bendl auf der richtigen Spur zu sein. Da eine so gute Laune nach einem Gegenüber verlangte, mit dem man sie teilen konnte, war sie ein wenig enttäuscht, Heinrich nicht wie gewohnt an seinem Schreibtisch vorzufinden. Als er um halb neun immer noch nicht mit der vertrauten Tüte Gebäck erschienen war, schlug ihre Ungeduld in Unmut um.

Heinrich hatte ab und zu diese Phasen, die sie Schwänzwochen nannte. Er verschwand dann aus heiterem Himmelt, tauchte für zwei bis drei Wochen unter und war für niemanden, auch für sie nicht, zu erreichen. Anfangs hatte sie vermutet, es handle sich dabei um irgendwelche Frauengeschichten. Den gelben Schein reichte er erst nach, wenn er bereits wieder gesund war. Sie hatte wiederholt versucht, mit ihm darüber zu reden. Im Guten wie im Bösen. Ergebnislos. Er sah sie dann nur verständnislos an und zuckte mit den Schultern. Wenn er nicht sofort aufstand und das Zimmer verließ.



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