Mimikry by Astrid Paprotta

Mimikry by Astrid Paprotta

Autor:Astrid Paprotta
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Krimi
Herausgeber: Eichborn
veröffentlicht: 2011-11-15T23:00:00+00:00


32

Jutta Sandlos hieß die Leiche, bei der sie gelacht hatten, die Frau aus dem Schrebergarten, die Frau ohne Arme. Ein Foto fiel aus der Akte, die Ina Henkel auf den Wagen des Büroboten legte.

Der Schrebergarten, überall Matsch. Sie liefen um die Leiche herum, den Leib ohne Arme. Stocker erinnerte sich an eine Kollegin seiner Frau, die Handlos hieß; genaugenommen, sagte er, wäre das passender. Der Pathologe kicherte als erster, und hinter der Hecke des Schrebergartens stehend, zwischen dem Körper der Toten und ihren Armen, konnten sie nicht aufhören zu lachen, was ziemlich peinlich war, weil zwei Schutzbeamte herüberguckten und weil diese Arme herumlagen und wann sah man Arme. Lose Arme gewissermaßen, ohne Körper, ohne Mensch, sie lagen weiter weg, vier Meter von der Frau entfernt, neben ihrer Tasche mit den Papieren, Sandlos, Jutta, 38 Jahre.

Jutta Sandlos fürs Archiv. Der Täter war ein Bekannter, sagte aus, daß er nach den Armen Schluß machen mußte, es war das falsche Messer und übel geworden sei ihm ohnehin. Er weinte. Mit diesem Messer kam man nicht durch Knochen. Hasen konnte er tranchieren, das machte ihm nichts, Enten und Hühnchen, Menschen nicht. »Sie machen sich keine Vorstellung«, hatte er gesagt.

Vier Akten ins Archiv. »Sind ’se das?« fragte der Bote.

Ina Henkel sah ihn eine Weile an, bis sein Gesicht wieder sein Gesicht war. Verschrumpelte Arme waren es gewesen, Arme wie Stöckchen. »Ja«, sagte sie.

»Nachher vergessen Sie wieder die Hälfte.« Er schob die Akten auf dem Wagen zusammen.

»Nein, tu ich nicht.« An einem Arm, der einzeln da lag, erkannte man auch die Finger nicht gleich.

»Letztes Mal lag die Hälfte noch bei Ihnen herum. Wurde gesucht.«

»Jetzt nicht.«

»In Ordnung«, sagte er. »Schönes Wetter heute.«

Sie nickte. In dem dunklen Gang sah man kein Wetter. Doch es wurde wärmer. Wenn der Frühling kam, rochen die Toten stärker, im Sommer stank dann alles um sie herum. Sie ging in ihr Zimmer zurück. Stocker stand an ihrem Schreibtisch, sagte: »Sie verzetteln sich.«

»Sie etwa nicht?« Sie nahm ihr Notizbuch. »Da ist ein Hinweis gekommen auf diesen Namenlosen mit den Stichen. Was heißt Hinweis – anonym. Unten, die Uschi Bauer hat’s aufgenommen, die meint, es wär ein Vorname.«

»Ja«, sagte Stocker. »Laut Pagelsdorf soll’s der Kissel übernehmen.«

»Hab-te-ab.« Sie kniff die Augen zusammen. »Vielleicht doch kein Name, vielleicht ’ne Beschimpfung.«

»Wie?«

»Der Anrufer konnte nicht buchstabieren, hat aber wohl langsam gesprochen. Mann in Leipziger Straße, sagt er. Habteab. Müssen wir mal gucken, ob das Indisch ist. Oder Pakistanisch.«

»Tja«, sagte Stocker. »Der Kissel hatte schon paarmal mit Illegalen zu tun.«

»Wenn er’s denn macht. Oder es ist was Arabisches.« Sie schob ihre Teekanne zur Seite und begann erneut, die Ausdrucke durchzublättern, die Reste der Welt von Martin Fried. Seine Welt war zwei Megabyte groß und auf Festplatte gespeichert, in Listen und Tabellen archiviert. Tabellarischer Lebenslauf, Aufzählung von Arbeitgebern, Listen von Besitztümern, alles aufgezählt und eingegeben, Sofa, Schreibtisch, Spülmaschine, Tonbandgerät, mit Kaufdatum und Angaben zum Händler. Bücherlisten, Aufstellungen seiner CDs und Videos; Wunschlisten, Beschreibungen von Orten, die er besuchen wollte, Sydney, Rom, Saloniki. Er hatte Flüge notiert, doch er war nicht geflogen.

Briefe, jeder einzelne in mehreren Versionen.



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