Menschlichkeit gewinnt by Mohn Reinhard
Autor:Mohn, Reinhard
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-11-26T00:00:00+00:00
Die Bürgergesellschaft
Es liegt wohl in der Natur des Menschen, daß er Gemeinschaft sucht. Und Menschen spüren - und erfahren es immer wieder -, daß Gemeinschaft einer Ordnung und der Führung bedarf. - Ursprünglich ergab sich die Führung in der Form, daß der Stärkere entschied, was zu geschehen hatte. Dabei konnte dieser aus der eigenen Gruppe aufsteigen oder aber als Eroberer die Macht übernehmen. Der Inhaber der Macht bedurfte seinerzeit keiner weiteren Legitimation. Seine persönlichen Interessen und Einsichten entschieden über sein Verhalten. Die Interessen der Untertanen hatten einen eindeutig nachgeordneten Rang.
Die Zielvorstellungen der Herrscher waren menschlich verständlich: Sie waren egoistisch auf ihre Machterhaltung, Machtexpansion und ihren Ruhm ausgerichtet. - Die Stabilität der Herrschaft der Mächtigen erwies sich immer wieder als begrenzt. Ziele, die ihre Kraft überforderten, oder führungstechnische Unfähigkeit führten oft zum Scheitern ihrer Bestrebungen. In selteneren Fällen führte auch die Mißachtung der Lebensbedingungen ihrer Untertanen zum Aufstand, der ihre Herrschaft beendete.
Herrscher waren am Erhalt ihrer Position interessiert. Wer ihnen dabei half, war ihr Freund, wer sie in Frage stellte, wurde bekämpft. Die Bewahrung des Status quo wurde jedem Wandel vorgezogen. Denn Wandel bedeutete Risiko und bedrohte den Herrschaftsanspruch. Entsprechend wurden Veränderungen durch Gewalt oder geistige Überzeugungen abgelehnt.
Es ist leicht verständlich, daß eine auf Stabilität und Ruhe bedachte Herrschaft nur eine geringe Lernfähigkeit aufwies - und daß die Untertanen nur minimale Chancen hatten, ihr eigenes Los zu verbessern. Auswanderungen ganzer Bevölkerungsgruppen haben immer wieder die Verhältnisse der Menschen zu den Mächtigen und deren Ordnung charakterisiert. - Für die gegenwärtige Zeit ist daraus abzuleiten, daß Menschen mit ihrem heutigen Selbstverständnis den Obrigkeitsstaat ablehnen müssen - weil er ihren Interessen in keiner Weise gerecht wird. - Diese Aussage ist auch dann zutreffend, wenn die Führung einer Gemeinschaft in die Macht einer kleinen Gruppe gerät: Diese verhält sich zumeist nicht anders als der frühere 'Herrscher'.
Für die Herrschenden waren ihre eigenen Bestrebungen eindeutig den Wünschen und Überzeugungen ihrer Untertanen übergeordnet. 'Der Staat bin ich!' formulierte Ludwig XIV. in Frankreich - bestimmt mit voller persönlicher Überzeugung! Entsprechend wurden in Hierarchien die Staatsinteressen über die Bürgerinteressen gestellt. - Die aufgrund verschiedenster Bedrängnisse nach Amerika auswandernden Menschen waren aufgrund ihrer Erfahrungen überzeugt, daß sie unter diesen Bedingungen keine persönliche Chance haben würden. - Sobald sie aber eine neue Heimat gefunden hatten, entschieden sie gleichwohl dafür, daß sie Ordnung und Führung brauchten. Aber sie wünschten dabei so wenig staatliche Einflußnahme wie möglich. - Die Einwanderer in Amerika waren sehr wohl bereit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Sie wußten, daß sie durch ihr eigenes freiwilliges Engagement die Grundlagen für ihren Staat selbst schaffen mußten. - Diese Überzeugung ist noch heute spürbar!
In Deutschland hat die Beziehung der Menschen zu Obrigkeit und Staat in diesem Jahrhundert einen grundlegenden Wandel erfahren. Hierarchische Ordnungen hatten bei der Wahl der Ziele und der Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben versagt. Nach dem folgerichtigen totalen Zusammenbruch überlieferter Denkgewohnheiten halfen uns nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere die Erfahrungen der amerikanischen und englischen Besatzungsmacht. Aus ihren demokratischen Überzeugungen lernten wir, neue Grundlagen einer staatlichen Ordnung zu entwickeln. Deutschland schickte sich an, zu einer Demokratie zu werden.
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