Meine Olympiade: Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen (German Edition) by Ilija Trojanow
Autor:Ilija Trojanow [Trojanow, Ilija]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104028460
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2016-05-24T16:00:00+00:00
Taekwondo in Zürich
Taek-won-do bedeutet »Fuß« – »Faust« – »Weg«. Weil ich meine Füße nicht gen Himmel richten kann, fokussiere ich mich auf den Weg. Auf die Prinzipien des Taekwondo: Höflichkeit, Integrität, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin, Unbezwingbarkeit. Sie hängen als kalligraphische Leitbilder auf Koreanisch und Deutsch an der Wand eines Züricher Dojangs. Am Eingang werden die Schuhe ausgezogen, die Füße gewaschen. Bevor man den Trainingsraum betritt, verbeugt man sich, wie beim Judo. »Die Verbeugung«, sagt mein Trainer Pascal, so alt wie ich und von bewundernswert aufrechter Körperhaltung, »ist nicht eine Geste der Unterwerfung, sondern des Respekts, gegenüber der Tradition, der Form, und auch Ausdruck der Bereitschaft, sich diesem Weg ganz und gar zu verschreiben.«
Das heutige Taekwondo wurde erst 1955 von einem koreanischen General kodifiziert, es basiert aber auf zweitausend Jahre alten Kampftechniken, vor allem was die Tritte betrifft. Die Hand- und Armstöße verdanken sich teilweise dem Einfluss des japanischen Karate, Folge der Okkupation Koreas durch Japan zwischen 1905 und 1945. Die Begründer des Taekwondo, die sich in der Unabhängigkeitsbewegung engagierten, übernahmen kulturelle Techniken der verhassten Besatzer.
Der Begriff Kampfsportart sei irreführend, erklärt mir Pascal zu Beginn, es handele sich eher um eine Formenlehre menschlicher Einstellungen und Bewegungen. Gewalt gegenüber einem anderen sei dabei nur die letzte Instanz, die es eigentlich zu vermeiden gälte. Insofern liegt eine besondere, unauflösbare Ironie darin, dass just Kyorugi, der kämpferische Vollkontakt, olympisch ist. Bei Olympia wird also nur eine, zudem nicht einmal zentrale Facette des Sports sichtbar. Das ist zwar nachvollziehbar – die Qualität von innerer und äußerer Haltung ist schwer messbar –, aber auch bedauerlich, weil der kulturelle Reichtum dieser Sportart nicht aufscheint.
Wir starten mit der »Grundschule«, einer Einführung in die Techniken ohne Gegner, dafür mit Spiegel (noch gnadenloser). Fauststöße aus der Schulter heraus, der Unterarm dreht sich kurz vor dem imaginären Treffpunkt, wie beim Karate. Die geringsten Schwierigkeiten bereitet mir dabei der Gihap (kurz: Gi), der Schrei, der jeden Stoß oder Tritt akustisch begleitet. Er muss eruptiv aus den Tiefen des Bauchs herausplatzen; fiepsige, piepsige Laute sind unangebracht. Pascal ist mit meinem Urschrei sehr zufrieden. Wenigstens das habe ich den meisten Anfängern voraus. Bei den Tritten gibt es eine erstaunliche Vielfalt – von vorn, nach hinten, seitlich, mit dem Fußballen oder Spann, von innen nach außen sowie von außen nach innen – theoretisch faszinierend, praktisch für mich jedoch unerreichbar, weil ich zu meinem Leidwesen mein Bein nicht einmal zu einem rechten Winkel hochbringe, während Pascal beinahe ein Standspagat gelingt. Bald schmerzt die Hüfte. Meine Unbeweglichkeit sei normal, sagt Pascal, wegen des langen Sitzens erstarrt unsere Hüfte in Laufe der Jahre. Es gebe spezifische Dehnübungen, die ich täglich machen solle. Das Ziel wären jene fließenden, gleitenden Bewegungen von enormer Geschwindigkeit zu einer mir unbekannten Choreographie, bei denen ich eine Gruppe von fortgeschrittenen Schülern später am Tag beobachten kann. Es wirkt so, als schwebten sie über dem Mattenboden, die Drehungen wie Pirouetten. »Sport ist wie Schach« war die häufigste Analogie in den Gesprächen mit meinen Trainern, aber schon an zweiter Stelle folgt der Vergleich mit dem Ballett.
Um sich gegen Stöße und Tritte zu wehren, gibt es eine breite Palette an Blocktechniken.
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