Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher by Simenon Georges
Autor:Simenon, Georges [Georges, Simenon]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-01-31T17:00:00+00:00
Als Maigret um drei Uhr den langen Gang betrat, an dem sich links und rechts die Büros der Untersuchungsrichter aneinanderreihten, brach ein Blitzlichtgewitter los, und ein Dutzend Journalisten stürzte auf ihn zu.
»Kommen Sie zur Vernehmung der Einbrecherbande?« Er versuchte, sich kommentarlos einen Weg zu bahnen. »Warum sind Sie und nicht Kommissar Grosjean hier?«
»Was weiß ich denn … Fragen Sie den Untersuchungsrichter!«
»Sie ermitteln doch im Fall der Rue Popincourt?«
Es gab keinen Anlass, das in Abrede zu stellen.
»Gibt es vielleicht einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen?«
»Meine Herren, ich habe im Augenblick keine Erklärungen abzugeben.«
»Sie dementieren es also nicht?«
»Es wäre falsch, daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen …«
»Sie waren doch vergangene Nacht in Jouy-en-Josas, nicht wahr?«
»Ich bestreite das nicht.«
»In welcher Funktion?«
»Kollege Grosjean wird Ihnen als zuständiger Ansprechpartner diese Frage beantworten.«
»War es Ihre Abteilung, die den Dieben in Paris auf die Spur gekommen ist?«
Vor dem Büro des Untersuchungsrichters saßen auf zwei Bänken links und rechts der Tür, in Handschellen und von Polizisten flankiert, die vier in der Nacht zuvor verhafteten Männer. Leicht amüsiert verfolgten sie das Geschehen.
Ein kleiner, aber sehr beleibter Anwalt ging mit wehender Robe, als würde er mit Flügeln schlagen, am Ende des Ganges auf und ab. Als er den Kommissar sah, trat er auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand.
»Wie geht’s, Maigret?«
Es blitzte. Der Handschlag war fotografiert worden, als wäre die Szene abgesprochen gewesen.
»Darf man fragen, warum Sie hier sind?«
Rechtsanwalt Huet hatte diese Frage im Beisein der Journalisten gestellt, und das war kein Zufall. Der Mann war geschickt, ja, gerissen, und er hatte sich auf die Verteidigung von professionellen Ganoven spezialisiert. Er war sehr gebildet, und als Musik- und Theaterliebhaber fehlte er bei keiner Generalprobe und bei keinem großen Konzert, was ihm wiederum Zugang zu den oberen Zehntausend verschafft hatte.
»Können wir nun hineingehen? Worauf warten wir noch?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Maigret mit ironischem Unterton.
Der kleine Mann mit den breiten Schultern klopfte an, öffnete die Tür und bedeutete dem Kommissar, mit ihm hineinzugehen.
»Einen schönen guten Tag, Herr Richter … Ich hoffe, es kommt Ihnen nicht allzu ungelegen, wenn ich mich dazugeselle … Meine Mandanten …«
Der Richter gab erst ihm, dann Maigret die Hand.
»Nehmen Sie Platz, meine Herren. Ich lasse die Untersuchungshäftlinge hereinführen. Ich nehme an, Sie haben keine Angst vor ihnen, so dass ich die Polizisten draußen lassen kann?«
Er ließ ihnen die Handschellen abnehmen. Das nicht sehr geräumige Büro war jetzt voll. Am einen Ende des Tisches, der dem Richter als Schreibtisch diente, saß der Gerichtsschreiber. Aus einer Abstellkammer musste ein zusätzlicher Stuhl herbeigeschafft werden. Die vier Männer saßen links und rechts von ihrem Anwalt. Maigret nahm ein wenig abseits Platz.
»Wie Sie wissen, Herr Rechtsanwalt, muss ich zunächst die Personalien der Tatverdächtigen feststellen … Bitte antworten Sie mit ›hier‹, wenn Sie aufgerufen werden. Julien Mila …«
»Hier.«
»Bitte Namen, Vornamen, derzeitiger Wohnsitz, Geburtsdatum und Geburtsort, Beruf.«
»Mila mit ›at‹ am Schluss?«, fragte der mitschreibende Protokollant.
»Nein, nur ›a‹.«
Die Prozedur dauerte eine ganze Weile. Demarle, der Mann mit der Narbe im Gesicht und der Statur eines Gewichthebers, war in Quimper in der Bretagne geboren. Er war früher Matrose gewesen und jetzt arbeitslos gemeldet.
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