Licht aus dem Osten by Peter Frankopan

Licht aus dem Osten by Peter Frankopan

Autor:Peter Frankopan [Frankopan, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644122819
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2016-08-29T22:00:00+00:00


Was dies in der Realität bedeutete, wurde bei einem Treffen in Berlin deutlich, das einige Wochen vor Beginn des «Unternehmens Barbarossa» stattfand, wie der Deckname für den Überfall auf die Sowjetunion lautete. Am 2. Mai besprachen die deutschen Staatssekretäre die Prioritäten: Die deutschen Armeen sollten bei ihrem Vormarsch einen möglichst großen Teil ihres Nahrungsmittelbedarfs aus den eroberten Gebieten selbst decken. Das Gelobte Land sollte von Anfang an für die Deutschen produzieren. Die Wehrmacht sollte von dem Moment an, in dem sie die Grenze überquerte, aus Russland versorgt werden.

Auch die Auswirkungen dieser Strategie auf all jene, die im «Zuschussgebiet» lebten, wurden bei dem Treffen besprochen. Die Betroffenen würden mit einem Schlag von allen Nahrungsmittelzufuhren aus dem Süden abgeschnitten werden. In einem der entsetzlichsten Dokumente der Weltgeschichte heißt es kurz und bündig: «Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.»[73] Diese Toten waren eben der Preis, den man für die Selbstversorgung Deutschlands bezahlen musste. Sie waren ein Kollateralschaden und ein notwendiges Opfer für den deutschen Sieg und das deutsche Überleben.

Das Treffen befasste sich mit weiteren logistischen Fragen, um sicherzustellen, dass im Ernstfall alles glattlaufen würde. Die Verbindungen zwischen den landwirtschaftlich genutzten Ebenen und der Transportinfrastruktur mussten gesichert werden, um die Verbringung der Agrarerzeugnisse nach Deutschland zu gewährleisten. Danach folgte eine längere Diskussion über die Frage, wie die deutschen Aufseher der Ernteeinbringung und der künftigen Pflanzaktionen äußerlich gekennzeichnet werden sollten. Man einigte sich schließlich auf silbergraue Armstreifen, die auf der Zivilkleidung anzubringen waren. Ein führender Historiker der Zeitgeschichte bezeichnete dieses Treffen als eine Mischung aus Banalem und Mörderischem.[74]

In den darauffolgenden drei Wochen bemühte man sich, die zu erwartenden Opferzahlen zu quantifizieren und damit den «zig Millionen» im «Zuschussgebiet», deren Tod man vorausgesagt hatte, eine konkrete Zahl zuzuweisen. Am 23. Mai wurde eine zwanzigseitige Richtliniensammlung herausgegeben, die im Wesentlichen eine aktualisierte Fassung der Entschlüsse und Folgerungen war, auf die man sich am 2. Mai geeinigt hatte. Das «Zuschussgebiet» der Sowjetunion sollte sofort vom Rest des Landes abgeschnitten werden, und sein Getreide und andere Agrarprodukte sollten eingesammelt und nach Deutschland umgeleitet werden. Wie beim Treffen in Berlin vereinbart, sollte die Lokalbevölkerung die Konsequenzen tragen. Diese wurden jetzt etwas genauer dargestellt. Vor allem grenzte man die Schätzungen etwas ein, was die ganze Sache jedoch nur schrecklicher machte: «Viele zehn Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben, oder nach Sibirien auswandern müssen», hieß es in dem Bericht. «Versuche, die Bevölkerung dort vor dem Hungertode dadurch zu retten, dass man aus der Schwarzerdezone Überschüsse heranzieht, können nur auf Kosten der Versorgung Europas gehen. Sie unterbinden die Durchhaltemöglichkeit Deutschlands im Kriege.»[75]

Zwar ist keine Teilnehmerliste des Treffens vom 2. Mai erhalten geblieben, Backes Einfluss war jedoch überall zu spüren, ob nun auf der Tagesordnung oder bei den gefassten Beschlüssen. Er wurde von Hitler hoch geschätzt, mehr als seine Vorgesetzten. Backes Frau schrieb in ihr Tagebuch, dass sich der «Führer» während der Planung des Überfalls auf Russland immer wieder bei ihrem Mann Rat holte. In der



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