Kultur und Konflikt in globaler Perspektive by Croissant Aurel - Wagschal Uwe - Schwank Nicolas - Trinn Christoph
Autor:Croissant, Aurel - Wagschal, Uwe - Schwank, Nicolas - Trinn, Christoph
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-07-20T00:00:00+00:00
Die moderne Geschichte Nigerias beginnt im 19. Jahrhundert mit der britischen Kolonialzeit. Der Großteil des heutigen Nigerias wurde auf zwei Regionen (Protektorate) aufgeteilt, die dem Siedlungsgebiet der Hausa-Fulani einerseits und dem der Igbo und der Yoruba andererseits entsprachen. Trotz staatsrechtlicher Vereinigung (Chukwuma 1985: 195; Akinwumi 2004: 21, 28) wurden die beiden Regionen de facto weiterhin wie zwei separate Staaten regiert (Diamond 1988: 26). Diese Separierung setzt sich im Wesentlichen bis heute fort.
Für Nigerias Geschichte seit der Unabhängigkeit ist ein ethnoregionales Konfliktparadigma kennzeichnend. Die Konfliktlinien verlaufen zwischen politisch-geographisch definierten subnationalen Regionen, die jeweils von einer bestimmten Ethnie dominiert werden. Die ethnoregionalen Konfliktlinien orientieren sich nach wie vor primär an der kolonialen Einteilung des Landes in die nördliche und die südliche Region.
Die Nord-Süd-Differenzierung gründet nicht in sprachlichen und auch nicht primär in religiösen Unterschieden, 6 sondern ist historisch begründet: Der Süden stand unter deutlich stärkerem politischen und kulturellen Einfluss der Briten als der Norden, was freilich auch starke sozioökonomische Auswirkungen hatte. Während der Süden 'gebildeter' und vor allem wohlhabender war, galt der Norden als 'konservativer' und wirtschaftlich rückständig (Chukwuma 1985: 211; Diamond 1988: 27 f., Harnischfeger 2006: 56). Dieses Bild hat für die Gegenwart nach wie vor Gültigkeit.
Die Nord-Süd-Differenz trifft mit einer demographisch-geographisch gegenläufigen Komponente zusammen: Die nördliche Region hatte und hat eine signifikant größere Bevölkerung als der Süden und eine beinahe dreimal so große territoriale Ausdehnung. Dieser Umstand verleiht dem Norden bis heute - auch und gerade unter den Bedingungen demokratischer Wahl - ein Machtübergewicht über den Süden (Chukwuma 1985: 49; Diamond 1988: 292; Harnischfeger 2006: 66 ff., 123 ff.). Die sozioökonomische Schwäche des Nordens in Verbindung mit seiner politischen Dominanz schuf die Voraussetzungen dafür, den Apparat und die Ressourcen des nigerianischen Gesamtstaates zugunsten des Nordens einzusetzen (Diamond 1988: 293; Akinwumi 2004: 20).
Diese Schieflage bewirkte bereits drei Jahre nach der Unabhängigkeit das Ende der ersten Republik: 1966 kam es zu einem Militärputsch unter Führung der Igbo. Noch im selben Jahr fand jedoch ein Gegencoup unter Führung der Hausa-Fulani statt, in dessen Folge Zehntausende im Norden lebende Igbo getötet wurden (Harnischfeger 2006: 68 f.). Als Reaktion darauf ist der nigerianische Bürgerkrieg von 1967 bis 1970 zu sehen. Dieser auch als Biafrakrieg bezeichnete Sezessionskonflikt wurde - mit großen humanitären und ökonomischen Kosten - um die Unabhängigkeit der von den Igbo dominierten Republik Biafra geführt und letztlich von Nigeria für sich entschieden.
In gewissem Sinne stellt der Biafrakrieg den Höhepunkt der ethnoregionalen Auseinandersetzungen in Nigeria dar. Zwar spielt das ethnoregionale Konfliktparadigma auch nach dem Ende des Krieges bis in die heutige Zeit eine Rolle (Harnischfeger 2006: 118-123); doch kehrte sich das Gewicht der konfliktbestimmenden Faktoren Region und Religion seit Ende der 80er Jahre um: Seitdem steht der Konflikt zwischen Muslimen und Christen im Vordergrund.
Ein bedeutsamer Grund für den Wandel von einem ethnoregionalen zu einem religiösen Konfliktparadigma kann in ethnopolitischen Lernprozessen gesehen werden. Der Biafrakrieg hatte beiden Konfliktparteien vor Augen geführt, dass eine Eskalation ethnoregionaler Konfliktlagen hochgradig unerwünschte Folgen zeitigt. Es soll hier die Annahme formuliert werden, dass die Transformation hin zu einem religiösen Konfliktparadigma eine
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