Kruzifix by Gwaltinger Xaver Maria

Kruzifix by Gwaltinger Xaver Maria

Autor:Gwaltinger, Xaver Maria [Gwaltinger, Xaver Maria]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi/Thriller
ISBN: 9783863582685
Herausgeber: emons Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Letzte Ölung

Ich bin schon wieder im Krankenhaus.

In Kempten.

Den Adolf besuchen.

Er wollte, dass ich komme.

Sagte seine Frau. Die Johanna.

Seelsorge. Letzte Ölung? Aber bitte mit Beichte!

Ich heftete mir das Seelsorge-Schildchen der Diözese an meinen Trachtenjanker. So ein gedrucktes Schild mit Stempel verschafft Zutritt. Ohne blöde Fragen. Wenn man es selbstbewusst trägt, kommt man bis auf die Intensivstation.

Als ich ins Zimmer trat, roch ich es.

Roch ihn.

Den Tod.

Abgedunkelt. Draußen brüllte die Allgäuer Sommersonne.

Dann sah ich es.

Sah ihn.

Den Tod.

Im Gesicht vom Adolf.

Adolf lag schmal unter einem Leintuch. Noch war das Gesicht nicht abgedeckt.

Die Nase spitz. Aus Wachs. Eingefallene Wangen mit Bartstoppeln. Schneidezähne wie ein Biber.

So sehen sie aus. Kurz vor dem Sterben. Alle.

Spitze Wachsnase. Weiße Biberbeißer.

Ich trat an sein Bett. Vermied es zu atmen. Kranke Brunze riecht zum Kotzen. Das Zimmer stank wie ein Pissoir, das einen Sommer lang nicht gereinigt worden war. So riechen sie alle. Urologie-Onkologie.

Er schaute mich mit wachen Augen an. Wach und farblos.

»Adolf?«

Er nickte. Sagte:

»Du bist doch Seelsorger. Priester. Sagen sie im Dorf.«

Du.

Über tausend Meter Bergeshöhe und am Totenbett sagt man im Allgäu »Du«.

»Hmmm.« Ich nickte.

»Ich hab nimmer lang.«

»Ich seh’s.«

»Noch paar Wochen, sagen die Ärzte.«

Ich dachte: Diese Komiker. Innerhalb von drei Tagen ist er weg. Oder drei Stunden.

Ich sagte:

»Hoffentlich haben sie recht, die Ärzte.«

»Ich muss dir was sagen.«

»Beichten?«

»Ja. Bist du unter Schweigepflicht?«

»Beim Beichten ja.«

»Dann Beichten.«

Ich sagte:

»Im Namen Gottes, des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Gelobt sei Jesus Christus.«

Er sagte:

»In Ewigkeit, Amen.«

Als Messner weiß man, wie das geht.

»Also«, sagte ich.

»Ich war’s«, sagte er.

»Ich war was?«, fragte ich.

»Wie du abends den Schlüssel geholt hast. Für die Kirch. Ich hab die Leiter umgeschmissen.«

»So. Hast Glück gehabt. Hätt leicht Totschlag werden können. Oder Mord.«

»Und danach. Wie du hinauf bist auf deine Alm. In der Heumaschine. Ich war’s.«

»Woher hast du denn gewusst, dass ich noch im ›Schwarzen Adler‹ war und dann erst auf die Alm bin …«

»Der Toni. Der hat dich da gesehen. Der hat mich angerufen auf seinem Handy.«

»Und du hast das Trumm Fahrzeug gesteuert?«

»Ja, ist nix dabei. Das kann sogar ein Weibsbild. Servolenkung. Ich wollt dich zusammenfahren.«

»Fast gelungen. Hier ist mein Andenken.«

Ich zeigte auf mein Piercing.

»Und warum hast du mich umbringen wollen?«

»Weil du draufkommen bist.«

»Auf was?«

»Wer den Datschi … unsern Pfarrer … die Mistsau … auf dem Gewissen hat.«

»Und wer?«

»Ich.«

»Du? Glaub ich nicht. Er hat sich doch aufgehängt. Hat er selber geschrieben.«

»Ich hab’s geschrieben. Ich hab ihn aufgehängt.«

Plötzlich fiel mir ein, was mir in diesem Gespräch, als mir einer die Leiter wegzog, aufgefallen war, und ich war nicht draufgekommen. Jetzt am Totenbett vom Adolf kam der Flashback. Er hatte mich in der Kirche gefragt:

»Was haben S’ denn da oben wollen, am Kruzifix?«

Ich hatte gesagt:

»Mich aufhängen!«

Und er darauf:

»Nein! So wie der Pfarrer. Das geht doch …«

Er wusste also, dass der Pfarrer da gehangen war, und er hatte so getan, als hätte er es nicht gewusst. Er log. Damals oder jetzt. Oder damals und jetzt.

Ich fragte ihn:

»Und er hat sich freiwillig aufhängen lassen?«

»Jeden Samstag hat er sich auf den Sonntag vorbereitet. Da war er ganz penibel. Messgewand angezogen, dass auch nix fehlt. Messwein probiert.



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