Krabat by Preußler Otfried

Krabat by Preußler Otfried

Autor:Preußler, Otfried [Preußler, Otfried]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Herausgeber: Thienemann Verlag
veröffentlicht: 2012-06-14T22:00:00+00:00


Tondas Grab hatte Krabat noch immer nicht aufgesucht. Einmal in diesen Wochen, als er beim ersten Morgengrauen erwachte, stahl er sich aus der Mühle und lief in den Koselbruch. Tautropfen hingen an jedem Grashalm, in allen Zweigen. Wo Krabat gegangen war, hinterließ er im Gras eine dunkle Spur.

Bei Sonnenaufgang stand er am unteren Ende des Wüsten Planes, unweit der Stelle, wo sie zum ersten Mal festen Boden erreicht hatten, als er mit Tonda vom Torfstich herübergekommen war.

Unterwegs hatte Krabat am Rand eines Moortümpels ein paar Kuckucksblumen gepflückt, um sie Tonda aufs Grab zu legen.

Nun sah er die Reihe der flachen, länglichen Hügel vor sich in der Morgensonne: einer war wie die anderen, ohne Kennzeichen, ohne Unterschied. Hatten sie Tonda am linken Ende der Reihe begraben oder am rechten? Die Abstände zwischen den Hügeln waren nicht gleichmäßig. Möglich, dass Tondas Grabstelle irgendwo zwischendrin lag.

Krabat war ratlos. In seiner Erinnerung gab es nichts, was ihm Anhalt geboten hätte. Alles war weiß gewesen ringsum, als sie Tonda begraben hatten, eingeebnet vom Schnee.

»Es soll wohl nicht sein«, dachte Krabat.

Langsam schritt er die Reihe hinauf und legte auf jeden Hügel eine der Kuckucksblumen. Zum Schluss blieb ihm eine übrig. Er drehte den Stängel zwischen den Fingern, betrachtete sie und sagte: »Dem Nächsten, den wir hier draußen begraben werden …«

Dann ließ er die Blume fallen – und jetzt erst, während der kurzen Zeit, die sie brauchte, bis sie den Boden berührte, wurde ihm klar, was er da gesagt hatte. Krabat erschrak, doch das Wort ließ sich nicht zurücknehmen und die Blume lag da, wo sie lag: am oberen Ende der Reihe, zwischen dem Hügel, der sich am weitesten rechts befand, und dem Waldrand.

Daheim in der Mühle schien niemand gemerkt zu haben, wo Krabat gewesen war; und doch hatte einer ihn heimlich beobachtet: Michal. Am Abend nahm er sich Krabat unter vier Augen vor. »Die Toten sind tot«, sagte Michal. »Ich habe es dir schon einmal gesagt und ich sage dir’s noch einmal. Wer auf der Mühle im Koselbruch stirbt, wird vergessen, als ob es ihn nie gegeben habe: nur so lässt sich’s für die anderen weiterleben – und weitergelebt muss werden. Versprich mir, dass du dich daran halten wirst!«

»Ich verspreche es.«

Krabat nickte – doch während er nickte, wusste er, dass er etwas versprach, was zu halten er weder gewillt noch imstande war.



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