Kein Schweigen, das nicht endet by Betancourt Ingrid

Autor:Betancourt, Ingrid [Betancourt, Ingrid]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-426-41282-4
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-01-10T05:00:00+00:00

38. Kapitel

Zurück im Gefängnis

März 2004. Alles ging sehr schnell. Als wir das Hühnergehege verließen, sah ich im Vorbeigehen Shirley; sie wollte mich beruhigen, mir sagen, dass alles gut würde.

Die Stahltür öffnete sich quietschend, und ich hatte buchstäblich das Gefühl, an den Pforten der Hölle zu stehen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und trat ein. Die perverse Befriedigung auf dem Gesicht eines meiner Mitgefangenen traf mich wie eine Ohrfeige.

»Ihr seid ja nicht lange weg gewesen«, zischte er gehässig.

»Offenbar haben wir euch gefehlt«, erwiderte Lucho trocken. »Hast du nicht dafür gesorgt, dass wir möglichst schnell zurückkommen?«

Der Mann lachte. »Tja, wir haben auch unsere Beziehungen …«

Sein Lachen erstarb, als er sah, wie die Wachen den Platz neben den Toiletten säuberten und ein Plastikdach aufstellten. Shirley hatte uns den kleinen runden Tisch, die beiden Stühle und ein Regal mitgeschickt. Im Innenhof des Gefängnisses wurde eine Hütte wie im Hühnergehege gebaut.

Brian und Arnoldo befehligten die Operation. Ich sah schweigend zu. Als sie ihre Arbeit beendet hatten, sammelten sie ihr Werkzeug ein. Bevor sie gingen, wandte Brian sich an mich.

»Der Comandante will, dass es hier keine Probleme mehr gibt«, sagte er mit lauter Stimme, damit alle es hören konnten. »Sie schlafen hier, und niemand wird Sie belästigen. Beim geringsten Mangel an Respekt informieren Sie Arnoldo.«

Ich kramte in meinen Sachen, um den giftigen Blicken der anderen auszuweichen, und hörte, wie jemand zischte: »Sehr gut! Soll sie doch im Geruch der Scheiße leben.«

Ich war wütend auf mich. Warum verletzte mich ihr Verhalten immer noch? Ich hätte längst einen Schutzpanzer haben sollen. Da legte mir jemand den Arm um die Schultern. Es war Gloria.

»Nicht doch! Nicht weinen. Das Vergnügen solltest du ihnen nicht gönnen. Komm, ich helfe dir. Weißt du, es tut mir zwar leid für dich, dass sie dich wieder hergebracht haben, aber ich freue mich auch darüber. Du hast mir richtig gefehlt. Und ohne Lucho gab es hier überhaupt nichts mehr zu lachen.«

Auch Jorge kam zu mir, wie immer die Höflichkeit in Person, und begrüßte mich mit einem Handkuss und seinen paar französischen Worten, die er gelernt hatte. Dann fügte er hinzu: »Jetzt habe ich keinen Platz mehr für meine Hängematte. Ich hoffe, du lädst uns zu dir ein, Madame Chérie.«

Marc näherte sich vorsichtig. Wir hatten nur selten miteinander geredet und wenn, dann auf Englisch. Ich hatte ihn oft beobachtet, weil er sich stets ein wenig abseits hielt und der Einzige von uns war, der sich noch nie mit irgendjemandem gestritten hatte. Außerdem war mir aufgefallen, dass seine zwei Gefährten ihn respektierten und auf ihn hörten. Die beiden lagen sich ständig in den Haaren; entweder schwiegen sie sich verbissen an, oder sie attackierten sich gegenseitig mit knappen, schneidenden Bemerkungen. Marc versuchte, zwischen ihnen zu vermitteln und sie zu beruhigen. Er blieb immer auf Distanz, vor allem mir gegenüber. Ich konnte mir gut vorstellen, was man ihm erzählt hatte, und ich hoffte, dass er mit der Zeit seine Meinung änderte.

Ich war überrascht, als er plötzlich neben uns stand, während Lucho, Jorge, Gloria und ich uns angeregt unterhielten. Hier im Gefängnis achtete jeder sorgfältig auf seine Gesten.

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