König der Turniere by Stadler Juliane
Autor:Stadler, Juliane [Stadler, Juliane]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2023-11-02T00:00:00+00:00
Kapitel 46
Grafschaft Flandern, Arras, April 1182
Als Valéry eine Woche später im Hof von Philipps Palast in Arras eintraf, entdeckte er eine Gruppe Kinder, die wie eine schnatternde Gänseschar von ein paar Ammen in den frühlingshaften Garten gescheucht wurde.
Bei ihrem Anblick spürte er sein Herz stolpern. Er glitt aus dem Sattel und sah ihnen nach. Ob Anissa unter ihnen war? Wenn der Graf Wort gehalten hatte, müsste das Mädchen schon seit Wochen am Hof weilen. Und tatsächlich â er entdeckte die Kleine fröhlich lachend zwischen den anderen Kindern, unverwechselbar dank der rotgoldenen Locken ihrer Mutter. Himmel, wie groà sie schon war! Unerwartete Sehnsucht übermannte ihn, und er machte ein paar Schritte in Richtung der Kinder, verharrte dann jedoch. Sicher würde sie ihn nicht erkennen, und er wollte ihr keine Angst einjagen. Es war mehr als ein Jahr her, dass er sie zuletzt besucht hatte, er war nie ein Vater für sie gewesen. Doch jetzt â bald â würde sich das ändern. Sie würden sich kennenlernen, und Anissa würde erfahren, wer all die Jahre über sie gewacht hatte. Eine Vorstellung, die ihn über vieles hinwegtröstete.
»Ein zauberhaftes Mädchen.«
Valéry schrak zusammen und machte hastig eine Verbeugung. »Hoheit.«
»Man hat mir versichert, deine Tochter habe sich schnell eingelebt. Sie scheint sich wohlzufühlen«, sagte Philipp und blickte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen den Kindern nach.
»Das ist nicht zu übersehen«, antwortete Valéry, und er war überrascht, wie glücklich ihn diese Feststellung stimmte.
Der Graf gab einer der Ammen ein Zeichen, woraufhin sie Anissa hochhob und zu ihnen brachte. Valéry musste sich zwingen, nicht die Hände nach der Kleinen auszustrecken, so sehr packte ihn die Sehnsucht. Doch nicht er war es, dem die Matrone das Kind reichte, sondern der Graf. Er hielt das eingeschüchterte Mädchen auf dem Arm, musterte es eingehend, aber ohne Wärme. Dann strich er Anissa über den Kopf, lieà die Finger den Nacken und schlieÃlich ihren zarten Hals hinuntergleiten, wo sie verharrten, groà und bedrohlich.
»Ja, es scheint ihr gut zu gehen. Möge der Allmächtige geben, dass dieser Zustand von Dauer ist, nicht wahr?«
Wie Wasser auf Glut verdampfte Valérys Glücksgefühl und wurde durch Angst und Abscheu ersetzt. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Am liebsten hätte er Anissa Philipp aus den Armen gerissen. Das Kind, das ihm so viel bedeutete, war für den Grafen nicht mehr als ein nützliches Werkzeug.
»Erfrische dich und lass dir in der Küche etwas zu essen geben«, entlieà Philipp ihn. »Und nachher erstattest du mir Bericht, dafür habe ich dich schlieÃlich kommen lassen.«
Wie immer war die Miene des Grafen beherrscht und undurchschaubar, ein blank geschabtes Pergament in einem ohnehin rätselhaften Buch, und das, obwohl ihm nicht gefallen konnte, was Valéry zu erzählen hatte: Kaum Fortschritte in Sachen Marschall, und auch die Debatten hinsichtlich Aquitanien an Henris Hof eigneten sich kaum dazu, ihn froh zu stimmen. Wenn man bedachte, dass ihm durch den Tod seiner Frau auÃerdem der Einfluss über mehrere bedeutende Gebiete verloren zu gehen drohte und wieder einmal demütigende Verhandlungen mit seinem einstigen Schützling, dem französischen König, und den Plantagenêts bevorstanden, war seine scheinbare Gelassenheit fast schon bewundernswert.
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