Kalt wie Nordlicht by Bernhard Stäber

Autor:Bernhard Stäber [Stäber, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
veröffentlicht: 2015-11-06T16:00:00+00:00

23

»Scheiße!«, brach es mit gepresster Stimme aus Kari heraus. Sie hieb so hart auf die Tischplatte, dass die daraufstehenden Kaffeetassen laut klirrten. Dumpfer Schmerz pochte in ihrem Handballen, aber sie achtete nicht darauf. Kuling hatte sich erhoben und starrte sie an.

Sie stand auf, ging zielstrebig auf den Kühlschrank zu und öffnete ihn. Was sie suchte, lag im untersten Fach, hinter einem dicken Ziegel aus hellgelbem dänischem Käse, der in Plastikfolie eingeschweißt war. Frodes Geschenk für Magnus. Sie hatte gesehen, wie er es am Flughafen in Bodø gekauft hatte. Kari zog die Flasche mit polnischem Grasovka Wodka hinter dem Käse hervor, kickte die Kühlschranktür zu, während sie sich von ihr abwandte, und schraubte sie auf. Die Flasche war zu zwei Dritteln voll, und Kari machte sich nicht die Mühe, Gläser zu suchen.

Für einen Moment hielt sie inne, den Flaschenhals bereits am Mund. Aus den Augenwinkeln sah sie eine unscharfe Reflexion von sich in der Scheibe des Küchenfensters. Die Flasche verdeckte ihr Gesicht. Dann nahm sie einen tiefen Schluck. Der Wodka war kalt, aber sie war harten Sprit nicht gewohnt. Er brannte ihr in der Kehle. Sie hatte nur ein eilig belegtes Brot gefrühstückt, und die Wärme des Alkohols breitete sich sofort in ihrem Magen aus. Sie begann, sich etwas ruhiger zu fühlen. Zur Sicherheit trank sie noch einmal und verzog das Gesicht. Erst dann schraubte sie die Flasche wieder zu, in der jetzt weniger als die Hälfte vorhanden war, und öffnete wieder den Kühlschrank. Sie achtete sorgfältig darauf, den Wodka hinter den Käse zurückzulegen, wo sie ihn gefunden hatte. Plötzlich musste sie daran denken, wie oft sie ihrem Jugendfreund Frode wegen seiner Trinkerei Vorhaltungen gemacht hatte. Wenn er sie jetzt sehen könnte, würde er ihr das bis ans Ende aller Tage unter die Nase reiben. Und noch drei Tage länger. Aber sie war verdammt noch mal nicht er! Sie hatte sich im Griff, und das hier war eine Ausnahmesituation.

Schon klar, höhnte eine innere Stimme, die verdächtig nach Frode klang, eine Ausnahme. Stehst ja auch ganz schön unter Stress. So wie neulich bei der Feier, als du Arne vor die Füße gekotzt hast. So wie Samstagnacht vor zwei Wochen, als du’s nicht geschafft hast, den Schlüssel in die Haustür zu bekommen, und deine Mitbewohnerin aus dem Schlaf geklingelt hast. Glaubst du wirklich, die hat es dir abgenommen, dass du ihn in deinem Zimmer vergessen hattest? Dass sie nicht mitkriegen, wie oft und wie viel du dir heimlich reinballerst? Glaubst du im Ernst, die Leute sind SO BESCHEUERT?

Kari drosch die Kühlschranktür mit solcher Wucht zu, dass er wackelte. Die unhörbare Stimme verstummte.

»Ist alles in Ordnung?«

Sie wirbelte herum, etwas zu schnell, und mit dem warmen Gefühl, dass der Wodka durch ihr Blut rauschte, schwindelte ihr ein wenig. Ina Fossum stand in der Tür und blickte sie besorgt an.

»Nichts ist in Ordnung«, antwortete Kari hart. »Wir haben einen Toten in der oberen Etage liegen, und niemand hat etwas gesehen!«

Sie verfluchte sich sofort für ihre Unprofessionalität. Sie repräsentierte die Polizei. Sie hatte dafür zu sorgen, dass nicht alles noch mehr außer Kontrolle geriet.

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