Jenseits des Lustprinzips by Sigmund Freud

Jenseits des Lustprinzips by Sigmund Freud

Autor:Sigmund Freud [Freud, Sigmund]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: BoD
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


VI.

Unser bisheriges Ergebnis, welches einen scharfen Gegensatz zwischen den „Ichtrieben“ und den Sexualtrieben aufstellt, die ersteren zum Tode und die letzteren zur Lebenserhaltung drängen lässt, wird uns gewiss nach vielen Richtungen selbst nicht befriedigen. Dazu kommt, dass wir eigentlich nur für die ersteren den konservativen oder besser regredierenden, einem Wiederholungszwang entsprechenden Charakter des Triebes in Anspruch nehmen konnten. Denn nach unserer Annahme rühren die Ichtriebe von der Belebung der unbelebten Materie her und wollen die Unbelebtheit wieder herstellen. Die Sexualtriebe hingegen – es ist augenfällig, dass sie primitive Zustände des Lebewesens reproduzieren, aber ihr mit allen Mitteln angestrebtes Ziel ist die Verschmelzung zweier in bestimmter Weise differenzierter Keimzellen. Wenn diese Vereinigung nicht zustande kommt, dann stirbt die Keimzelle wie alle anderen Elemente des vielzelligen Organismus. Nur unter dieser Bedingung kann die Geschlechtsfunktion das Leben verlängern und ihm den Schein der Unsterblichkeit verleihen. Welches wichtige Ereignis im Entwicklungsgang der lebenden Substanz wird aber durch die geschlechtliche Fortpflanzung oder ihren Vorläufer, die Kopulation zweier Individuen unter den Protisten, wiederholt? Das wissen wir nicht zu sagen, und darum würden wir es als Erleichterung empfinden, wenn unser ganzer Gedankenaufbau sich als irrtümlich erkennen ließe. Der Gegensatz von Ich(Todes-)trieben und Sexual(Lebens-)trieben würde dann entfallen, damit auch der Wiederholungszwang die ihm zugeschriebene Bedeutung einbüßen.

Kehren wir darum zu einer von uns eingeflochtenen Annahme zurück, in der Erwartung, sie werde sich exakt widerlegen lassen. Wir haben auf Grund der Voraussetzung weitere Schlüsse aufgebaut, dass alles Lebende aus inneren Ursachen sterben müsse. Wir haben diese Annahme so sorglos gemacht, weil sie uns nicht als solche erscheint. Wir sind gewohnt so zu denken, unsere Dichter bestärken uns darin. Vielleicht haben wir uns dazu entschlossen, weil ein Trost in diesem Glauben liegt. Wenn man schon selbst sterben und vorher seine Liebsten durch den Tod verlieren soll, so will man lieber einem unerbittlichen Naturgesetz, der hehren Ἀναγκη, erlegen sein, als einem Zufall, der sich etwa noch hätte vermeiden lassen. Aber vielleicht ist dieser Glaube an die innere Gesetzmäßigkeit des Sterbens auch nur eine der Illusionen, die wir uns geschaffen haben, „um die Schwere des Daseins zu ertragen“. Ursprünglich ist er sicherlich nicht, den primitiven Völkern ist die Idee eines „natürlichen Todes“ fremd; sie führen jedes Sterben unter ihnen auf den Einfluss eines Feindes oder eines bösen Geistes zurück. Versäumen wir es darum nicht, uns zur Prüfung dieses Glaubens an die biologische Wissenschaft zu wenden.

Wenn wir so tun, dürfen wir erstaunt sein, wie wenig die Biologen in der Frage des natürlichen Todes einig sind, ja dass ihnen der Begriff des Todes überhaupt unter den Händen zerrinnt. Die Tatsache einer bestimmten durchschnittlichen Lebensdauer wenigstens bei höheren Tieren spricht natürlich für den Tod aus inneren Ursachen, aber der Umstand, dass einzelne große Tiere und riesenhafte Baumgewächse ein sehr hohes und bisher nicht abschätzbares Alter erreichen, hebt diesen Eindruck wieder auf. Nach der großartigen Konzeption von W. Fließ sind alle Lebenserscheinungen – und gewiss auch der Tod – der Organismen an die Erfüllung bestimmter Termine gebunden, in denen die Abhängigkeit zweier lebender Substanzen, einer männlichen und einer weiblichen, vom Sonnenjahr zum Ausdruck kommt.



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