Jahrhundertschnee by Isabel Morf

Jahrhundertschnee by Isabel Morf

Autor:Isabel Morf [Morf, Isabel]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-11-16T16:00:00+00:00


Seraina und Patrick trafen im Treppenhaus wieder aufeinander. Raffaela und Fridolin, Janine Bianchera und das Ehepaar Varga waren bereit, ihre Wohnungen gründlich abzusuchen. Aber sie alle betonten, dass es kaum möglich sei, dass sich Aline bei ihnen versteckt hielt. Alle hielten die Wohnungstür abgeschlossen, alle waren praktisch die ganze Zeit in der eigenen Wohnung gewesen. »Wo sonst?«, hatten Fridolin sarkastisch und Janine eher verzweifelt gefragt. Sie sah sich ratlos im Flur um. Sie schaute im Bad hinter den Duschvorhang, in der Küche warf sie einen Blick auf den winzigen Küchenbalkon. Als sie sich dabei ertappte, wie sie niederknien und unters Bett schauen wollte, hielt sie inne. Das ist doch Unsinn, sagte sie sich. Dieses Mädchen kann nicht hier sein. Sie klopfte an Rubinas Tür. Das Mädchen saß am Computer, hatte ihren Facebookaccount offen und schrieb. »Was machst du da?«, fragte Janine, ohne zu überlegen. Rubina gab ihr einen geringschätzigen Blick. »Sorry«, fügte sie rasch hinzu, »ich bin nur so aufgeregt und beunruhigt.« Rasch erklärte sie Rubina die neueste Situation.

»Ich verstecke Aline nicht in meinem Zimmer, das kannst du mir glauben«, gab das Mädchen freundlicher als erwartet zurück. »Ich kann mir wirklich nicht denken, wo sie sein könnte. Denkst du, dass sie auch tot ist?«

Janine schrak zusammen. »Nein, bestimmt nicht«, rief sie. »Vielleicht ist sie irgendwo eingeschlafen.«

»Seit wann werden schlafende Menschen unsichtbar?«, erkundigte sich Rubina.

Janine fühlte sich wieder einmal als völlig unfähige Mutter. Wut stieg für einen Augenblick in ihr auf, verrauchte aber gleich wieder. »Im Heizungskeller?«, schlug sie unsicher vor.

»Dort hat ihr Bruder sie bestimmt schon gesucht«, sagte Rubina.

Janine ging ohne ein weiteres Wort hinaus und zog die Tür leise hinter sich zu. Was geht uns das eigentlich an?, fragte sie sich. Wir kennen diese junge Frau kaum.

Auch die anderen Hausbewohner hatten Schwierigkeiten mit diesem Auftrag. Fridolin und Raffaela taten gar nichts. Sie saßen seit dem frühen Nachmittag vor dem Fernseher und ließen sich von deutschen Nachmittagsprogrammen berieseln. Lajos und Csilla Varga hatten pflichtschuldig eine Runde durch die Wohnung gedreht, Vorhänge zur Seite geschoben, in Nischen zwischen Wand und Schrank geguckt, aber sie waren von vornherein überzeugt, dass die junge Frau nicht bei ihnen war. Ursula Meyer war mit Géza ins Wohnzimmer zurückgekehrt. Timea war hinuntergegangen. Géza wollte weiter Memory spielen, weil er darin so gut war. Ursula, die auch gern gewonnen hätte, aber deren Gedächtnis nicht mehr so mitmachte, willigte ein. Sie holte ihm ein Glas Milch und ein Stück Kuchen, was er beides mit Vergnügen vertilgte. Beat Streiff hockte mit düsterem Gesicht in Valeries Küche. Aline Behrend musste auf irgendeinem Weg das Haus verlassen haben, wahrscheinlich über den Balkon der Wohnung Bianchera oder Varga. Dummes Mädchen. Wo wollte sie hin? Sie würde erfrieren. Es sei denn, sie fand über einen anderen zurzeit ebenerdigen Balkon Zuflucht in einer Wohnung. Aber dort wäre sie wohl genauso verschüchtert und verzweifelt wie zu Hause. Und sie würde doch anrufen. Dürst sagte, er habe den ganzen Tag bis jetzt draußen keinen Menschen gesehen. »Wir haben auch keine Suchtrupps. Wir sind ja nicht mit Skis ausgerüstet, und wo sollten Zita und ich die Leute herbeizaubern?« Ja, Zita schlafe noch.



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