In 80 Frauen um die Welt: Von einem, der auszog, die Liebe zu finden by Thilo Mischke
Autor:Thilo Mischke [Mischke, Thilo]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik, Biografische Romane, Biografien & Erinnerungen, Reise & Abenteuer
ISBN: 9783426783795
Herausgeber: Knaur TB
veröffentlicht: 2014-09-21T04:00:00+00:00
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Japan
Bill Murray hatte unrecht. Sein trauriges Gesicht in Lost in Translation hat mich schwer verunsichert. Und das, obwohl Tokio ein Reiseziel ist, auf das ich mich sehr gefreut habe. So eigenwillig, so sonderbar anziehend wirkt es, wenn man Reportagen im Fernsehen sieht oder in Magazinen liest. Nur eben Bill Murray hat mir Angst gemacht. Ich habe mich schon in einem Hotel sitzen sehen, auf meine Uhr starrend und hoffend, dass die Zeit vorbeigeht. Ich habe mich schon verloren in einer Welt gesehen, die nicht die meine ist und vor der ich mich fürchte, weil sie fremd ist.
Ich stehe nicht verloren, nicht ängstlich und schon gar nicht einsam zwischen Hunderttausenden Japanern. Mit schwerem Gepäck erreiche ich Tokio Central und werde beobachtet von Tausenden kleinen Augenpaaren, da ich mit meinen Einmeterfünfundsiebzig hier ziemlich ungewöhnlich bin. Von Steph habe ich mich gestern Morgen höflich mit einem Frühstückskaffee bei Starbucks verabschiedet. Ich habe meine Rolle aus der Tasche genommen und die Nummer einundsiebzig in ihre Fake-Coco-Chanel-Tasche fallen lassen. Für einen kurzen Moment haben wir uns als Freunde gefühlt, einander Wärme gegeben, am nächsten Morgen war jedoch klar, dass wir uns nicht wiedersehen würden. Zu unterschiedlich waren unsere Vorhaben: Sie musste sich wieder auf die Suche nach einem finanzkräftigen Liebhaber machen, ich wollte meine Reise fortsetzen.
Ich kann mich aus meinem kurzen Universitätsstudium noch an ein paar Brocken der Sprache erinnern und habe mir vorgenommen, eine Woche lang japanisch zu sein: japanisch zu essen, japanisch zu wohnen und japanisch zu leben. Ich weiß, es ist aussichtslos, hier als Japaner unterzutauchen, allein meiner fehlenden asiatischen Physiognomie wegen, aber ich versuche wenigstens, mich den Lebensgewohnheiten anzupassen. Als eine Art Grundregel. Das wird eine lustige Erfahrung, weil es zwei Dinge in meinem Leben gibt, die ich hasse. Das wäre zum einen Autorität und zum anderen sind es strenge Regeln. Gegen Regeln habe ich nichts im Allgemeinen, sie sind wichtig, aber Regeln, wie das Leben an sich funktionieren soll, finde ich abscheulich. Weil es sowieso immer anders kommt.
Ich erreiche mein Hotel, es ist in Ikebukuro, einem Stadtteil von Tokio, links oben, weit weg vom unbezahlbaren Stadtzentrum. Es scheint mir, als würde ich eine Entfernung zurücklegen, die der von Berlin nach Hamburg entspricht, und ich dachte immer, die meckernden Reisenden, die erzählen, Tokio sei so unbeschreiblich kostspielig, würden lügen. Aber sie haben recht. In den ersten Stunden in dieser Stadt gebe ich viel zu viel Geld für die einfachsten Dinge aus. Ich nehme das teuerste Flughafenshuttle, leiste mir ein Taxi, was die größte Investition darstellt: Fünfzehn Minuten Taxifahrt kosten ungefähr 50 Euro.
Im Stadtzentrum von Tokio, also in Ginza, dem Edelbezirk, oder Shibuya, dem Lachbezirk, oder in Shinjuku, dem Nuttenbezirk, sind die Zimmer unerreichbar teuer. Selbst ein Kapselhotel, das in dieser Stadt tatsächlich existiert, also ein Hotel, in dem sich nur Männer in bienenstockähnlichen Waben zum Schlafen einfinden, kostet 40 Euro die Nacht. Tokio ist teuer. Ohne Zweifel. Aber es ist auch schön. Und ich bin bereit, viel Geld für Tokio zu bezahlen. Ich bin bereit, den Geiz Südostasiens abzulegen, um Dinge zu sehen, von denen ich nie geahnt habe, dass sie existieren.
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