Hinter der Maske: Nemesis (German Edition) by Stefan Seitz

Hinter der Maske: Nemesis (German Edition) by Stefan Seitz

Autor:Stefan Seitz [Seitz, Stefan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-03-01T05:00:00+00:00


KAPITEL 18

Kurz vor zwanzig Uhr war ich in Downtown. In meinem besten Anzug und blauer Krawatte – eine der wenigen, die nicht Diane mir gekauft hatte – schlenderte ich auf das Restaurant Cicada zu. Da ich genau wusste, dass ich nicht auf Alkohol verzichten würde, hatte ich mir vernünftigerweise ein Taxi gegönnt.

Die von Werbeplakaten, Ampeln und Leuchtschriften erhellten Straßen waren überschwemmt von Menschen. Es wimmelte wie auf einem Ameisenhügel. Hier, im Zentrum des Nachtlebens, herrschte eine völlig andere Stimmung als im Süden, wo ich wohnte.

Ich glaube, es liegt daran, dass Menschen sich in großen Mengen sicherer fühlen. Es ist ähnlich dem Phänomen, das man im Internet in Foren oder sozialen Netzwerken beobachten kann. Wenn man anonym vor einem Bildschirm sitzt und in einer Masse mitschwimmt, fehlt die Hemmung, abwertende Kommentare zu schreiben und andere zu verletzen, oder aber auch gegen Regierungen und politische Entwicklungen zu demonstrieren. So ähnlich verhält es sich auch auf der Straße. Je mehr Menschen einen umgeben, desto unbesiegbarer fühlt man sich, wenn man nachts durch die Straßen zieht, Kinos besucht, zu Abend isst, sich mit Freunden in seiner Lieblingsbar zuschüttet und grölend von einem angesagten Club zum nächsten zieht. Und ich gebe zu, dass es auch mir so geht.

Aber der Schein trügt. Je später es wird, desto leerer werden die Straßen – und desto gefährlicher der Heimweg. Und ich rede nicht von Gefahren für Betrunkene, wie stehende Hindernisse oder Treppen; ich rede von Raubüberfällen und Vergewaltigungen, die in Los Angeles stetig zunehmen und besonders im Süden zu einer Plage werden. Mehr Polizisten, mehr Dienststellen, mehr Überwachungskameras, härtere Urteile – das alles und viel mehr wünsche ich mir jedes Jahr zu Weihnachten, aber Jahr für Jahr bekomme ich die falschen Geschenke. Ich hasse es mehr als alles andere auf der Welt, die falschen Geschenke zu bekommen. Das reicht auf traumatische Erlebnisse in meiner Kindheit zurück.

Insgeheim wünsche ich mir, wieder in meinen Zwanzigern zu sein, noch mal diese Unbesiegbarkeit zu spüren, Risiken ins Gesicht zu lachen und das Leben zu genießen, anstatt hinter jeder Straßenecke einen Überfall zu erwarten und hinter allen Dingen und jeder Person nach einer düsteren Wahrheit zu suchen. Und ich sage das nicht, weil ich mich heute zu alt fühle – das ist Blödsinn. Nicht mein Alter, sondern mein Job und diese Stadt zerstören den lebensfrohen Teil in mir. Ich habe die dunklen Seiten des Lebens gesehen und vielleicht habe ich sie zu nahe an mich herangelassen – aber sie gar nicht an mich heranzulassen, ist spätestens seit Roses Ermordung unmöglich gewesen.

Ich habe mir immer eingeredet – nein, mir vorgelogen –, dass mein Job mich glücklich macht. Ich habe mir eingeredet, dass ich tatsächlich etwas verändern könnte, und ich habe mehr Energie dafür aufgebracht als für meine Familie. Und wohin hat mich all das geführt? All der Stress, die viele Arbeit, die grausigen Morde, der Glaube, dass sich irgendwann alles zum Guten wenden würde, und die Streitgespräche mit Diane darüber, dass ich nichts an meinem Leben ändern wollte, weil ich ja glücklich war?

Es hat



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