Heisse Eisen by Petra Ivanov

Heisse Eisen by Petra Ivanov

Autor:Petra Ivanov [Ivanov, Petra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Appenzeller
veröffentlicht: 2015-09-25T16:00:00+00:00


22

Klemens Kienast zog die Tür hinter sich zu und stieg die Kellertreppe hinunter. Früher hatte die Mutter hier Vorräte aufbewahrt. Manchmal hatte sie Klemens gebeten, ein Glas Konfitüre oder eingelegtes Gemüse zu holen. Moritz hatte sie nie gefragt, da er sich vor der Dunkelheit fürchtete. Wie immer war die Mutter ihm gegenüber nachsichtig gewesen. Etwas mehr Härte hätte nicht geschadet, dachte Klemens. Es gab kaum etwas, vor dem sich Moritz nicht gefürchtet hatte. Klemens war es leid gewesen, sein Gejammer anzuhören. Noch mehr hatte ihn gestört, dass sich die Mutter immer an ihn wandte, wenn es etwas zu erledigen gab. Bis er die Vorteile erkannte.

Zum Beispiel bei der Erdbeerkonfitüre. Vom Onkel, der auf seinem Hof im Thurgau Erdbeeren anbaute, bekam die Mutter jeden Juni mehrere Kisten Beeren geschenkt. Was sie nicht frisch verspeisten, wurde zu Konfitüre verarbeitet. Im Keller standen die Gläser in ordentlichen Reihen auf dem Regal, in exakt gleichem Abstand, wie Infanteristen, die auf ihren Einsatz warteten. Wenn Klemens für die Mutter Nachschub holte, steckte er immer auch ein Glas für sich ein. Bis die Mutter misstrauisch wurde und die Gläser zu zählen begann. Von da an nahm er einen Löffel mit, wenn er in den Keller ging, und bediente sich vor Ort. Einmal hatte Moritz ihn erwischt, als er den Löffel in der Küche abspülte. Sofort eilte Moritz zur Mutter, um es ihr zu berichten. Klemens kehrte in den Keller zurück, schraubte den Deckel des Glases fest zu und vertauschte die Konfitüre mit einem Glas aus der hinteren Reihe. Wie erwartet drehte die Mutter bei ihrem Kontrollgang nicht zu fest an den Deckeln. Sie wollte das Risiko nicht eingehen, dass Luft in die Gläser gelangte. Als sie die entsprechende Konfitüre einige Monate später öffnete, war sie mit Schimmel bedeckt, den sie auf einen beschädigten Dichtungsring zurückführte. Moritz’ Anschuldigungen hatte sie vergessen.

Klemens lächelte, als er daran dachte. Es verschaffte ihm Befriedigung, andere zu überlisten. Es bestätigte seine Überlegenheit, verlieh ihm Macht über seine Mitmenschen. Nur wenige besassen im gleichen Ausmass wie er die Fähigkeit, strategisch zu denken und sich klare Ziele zu setzen. Moritz hatte ihm stets vorgeworfen, berechnend zu sein, Klemens bevorzugte den Begriff weitsichtig. Wo stünde er heute ohne Planung und Beharrlichkeit? Er hatte alles, was er sich wünschte.

Oder beinahe alles.

Nachdem seine erste Frau zwei Fehlgeburten erlitten hatte, riet ihr der Arzt von einer weiteren Schwangerschaft ab. Sie sei zu labil, um einen dritten Versuch zu wagen, hatte er gemeint. Klemens hatte dafür kein Verständnis aufgebracht. Er hatte Elisabeth bedrängt; sie verlor auch das dritte Kind. Noch heute war Klemens überzeugt, dass sie selbst schuld daran war. Sie hatte aufgegeben, statt zu kämpfen. Sie hatte der Schwäche ihres Körpers nachgegeben, statt sich dagegen zu wehren. Mit ein bisschen mehr Willenskraft hätte sie das Kind austragen können. Die Scheidung ging rasch über die Bühne. Elisabeth stellte keine Ansprüche.

Dass Gabriele einen Sohn mit in die Ehe brachte, hatte Klemens als gutes Omen gedeutet. Zumindest wusste er, dass sie in der Lage war, ein Kind zu gebären. Warum sie kein zweites Mal schwanger wurde, konnten sich auch die besten Ärzte nicht erklären.



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