grosse schwester, kleiner bruder by Lise Gast

grosse schwester, kleiner bruder by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-26T00:00:00+00:00


* * *

'Wir hätten doch die Badesachen mitnehmen sollen, so warm ist es geworden', sagte Renate, als sie sah, daß Raimund die Augen offen hatte. Sie selbst hatte geschlafen, tatsächlich, hier in dieser Kuhle unterhalb des Waldrandes zusammengerollt. Die Sonne prallte schräg auf den Hang, und es war hier windgeschützt. Oder der Wind war überhaupt eingeschlafen.

'Schwimmen Sie immer schon so zeitig im Jahr?' fragte er, ohne sich zu rühren.

'Ja, so bald es irgend geht. Ich bin ein richtiger Wasserfrosch. Und Fräulein Menzler will jetzt ...' Sie begann, nach dem Schlaf munter geworden, von den Bauplänen der ›Firma‹ zu erzählen.

Er warf dann und wann eine Frage dazwischen. Es lag sich so wunderbar hier, jeder in seinem Nest, und gerade so weit voneinander entfernt, daß man sich mit der Stimme mühelos erreichen konnte. Nach einer Weile schwieg Renate. Er hörte sie hantieren, dann schob sie ihm ein fertiges Reisebrot hin.

'Bitte. Es ist aber nur Margarine drauf. Jetzt, wo Christian nicht zu Hause ist, kaufe ich keine Butter.'

'Macht nichts. Ich habe Schokolade mit, die essen wir dazu.' Er stöhnte faul, während er sich aufrichtete. Dann halbierte er, auf den Ellenbogen gestützt, die Tafel mitsamt dem Papier und schob ihr eine Hälfte hin.

Während sie aßen, sprachen sie nichts.

Er blinzelte in die Sonne und mochte nicht einmal rauchen, so zufrieden war er. 'Sehen Sie, das ist das richtige für mich. Sowas möchte ich öfter haben.'

'Das können Sie doch. Sie müssen manchmal mit uns kommen, zu unserm Wigwam. Wir kochen dann auch dort ab. Es ist immer riesig nett.' Sie erzählte. Ihr Lagerplatz dort befand sich auf dem Grund eines Gutes, dessen Besitzer sie um Erlaubnis gefragt hatten und dadurch mit ihm und seiner Frau bekannt geworden waren. 'Es sind merkwürdige Menschen, viel in der Welt herumgekommen, mit eigenartigen Ansichten. Von Ärzten halten sie nicht viel', sie lachte, 'ja, sie haben ihre eigenen Heilmethoden. Eine richtige Gutsfrau muß ja sowieso ein halber Arzt sein. Diese Frau glaubt an Baum-Magnetismus, sie behauptet, alle Bäume hätten ihre eigenen Kräfte. Birken zum Beispiel wirkten blutstillend, wenn man sich an sie lehnte. Ein bißchen verrückt, was?'

'Nicht verrückter als andere neue – oder sehr alte Wege, die man jetzt zu gehen versucht. Die richtige, reine Schulmedizin gibt es ja praktisch überhaupt nicht mehr. Man greift uns zu Unrecht an, wenn man uns die vorwirft. Aber erzählen Sie weiter.'

'Und mit den Toten haben sie auch Verbindung. Sie nennen sie die ›Entkörperten‹. Man sieht sie nicht mehr, aber sie sind überall dabei. Sie geben auch Antwort auf Fragen. Das hat mich anfangs sehr bestochen, als ich so allein stand ...'

Jetzt richtete er sich doch auf und zündete sich eine Zigarette an. 'Wegen Ihrer Mutter?' fragte er nach einer Weile leise. 'Wegen Mü?'

'Nein.' Sie schüttelte den Kopf und schnupfte ein wenig. Sie hatte ihn genau verstanden. 'Mü gönne ich die Ruhe, wenn man so sagen will. Ich würde sie nie bemühen um meinetwillen und um der Sorgen willen, die ich habe. Und die doch irdische Sorgen sind, klein, läppisch, wenn man es so betrachtet', sagte sie etwas verlegen.



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