Gottfried Benn by Wolfgang Emmerich

Gottfried Benn by Wolfgang Emmerich

Autor:Wolfgang Emmerich [Emmerich, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644565418
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2016-07-07T16:00:00+00:00


Hannover, Berlin III, Landsberg: Arzt in der Wehrmacht

(1935–1945)

«Die aristokratische Form der Emigrierung»

Am 1. April 1935 trat Gottfried Benn seinen Dienst als Oberstabsarzt im Range eines Majors bei der Heeressanitäts-Inspektion Hannover an. In späteren Äußerungen hat er das Wort von der Armee als der aristokratischen Form der Emigrierung (oder Emigration; z.B. in Doppelleben; IV, 94) oft und gern wiederholt. Es wurde alsbald populär bis hinauf zum Oberkommando. Benn war diese Devise wichtig, hatte er doch mit ihr eine hilfreiche, in doppelter Weise Identität stiftende Formel gefunden. Zum einen wurde er damit auch, wie verspätet immer, zum Emigranten, der sich demonstrativ von den Nazis absetzte, aber er war – zum Zweiten – ein ganz besonderer, «aristokratischer» Emigrant, indem er sich in die damals tatsächlich noch wenig nazistisch verseuchte, ‹saubere› Armee integrierte, womit er sich zugleich, in Deutschland ausharrend, vom Gros der ins Ausland Geflüchteten distanzierte. Aufs Neue eroberte Benn sich die Außenseiterposition zurück, die er seit 1928 schrittweise verlassen und zu Beginn der NS-Herrschaft vollends preisgegeben hatte. Nach außen hin diente er dem Großdeutschen Reich als Offizier, aber sein eigentliches Credo war (wieder) das ‹reine› Künstlertum: Du stehst für Reiche, nicht zu deuten und in denen es keine Siege gibt. (II, 140) Die Zwei-Reiche-Lehre, das Doppelleben war neuerlich – und endgültig – etabliert.

Skeptischer, kälter, erwartungsloser kann man ein neues Leben nicht beginnen, als ich es hier tue (AB 65) – so nüchtern blickte Benn voraus auf die Etappe Hannover, die vor ihm lag: Dauer unbestimmt. Der späteren Bilanz in der Autobiographie Doppelleben darf man nicht ohne weiteres Glauben schenken. Dort heißt es: Alles in allem waren es keine schlechten zwei Jahre, die ich dort verbrachte. Der Dienst war nicht schwer und dauerte nicht lange […], ich wohnte wieder wie als Student in einem möblierten Zimmer und kochte mir selbst. Sonntags fuhr ich mit den großen Reiseomnibussen in mir bis dahin unbekannte Gegenden der Weser, der Heide, des Sollings oder in mir fremde Städte, wie Hameln, Celle, Wolfenbüttel, alles interessante Orte. Von Politik war hier nichts zu spüren. (IV, 97) Doch Briefe an den Freund Oelze in Bremen und die beiden Geliebten Elinor Büller und Tilly Wedekind in Berlin sprechen eine andere Sprache. Zunächst durfte Benn noch Zivil tragen, aber ab Herbst 1935, nach Ablauf der Probezeit, war die Uniform Pflicht. Es geht mir nämlich viel elender, als ich dachte, schrieb er jetzt an Oelze. Ich mag die Uniform absolut nicht. Bin völlig unglücklich darin. Sie gestaltet einen mehr um, als ich dachte. Sie ist ein raffiniertes psychologisches System! (OB I, 80) Und gegenüber Tilly Wedekind klagte er: Bin tief melancholisch seit langem. Das Leben hier ist furchtbar. Öde, leer.

Dabei spielte auch das Gefühl von Verlust – des erreichten Ruhms, der Lebendigkeit der Metropole Berlin – eine erhebliche Rolle: So völlig ausgebootet u vorbei u. zu einer vergangenen Epoche gehörend, alles, was man war u. einst dachte. Wie vergeblich alles.[97] Monate vorher hatte Benn sich noch erleichtert gezeigt, nun fort zu sein aus dem ganzen Geistes- und Kulturrummel, und die von früher bekannte Auffassung kundgetan, daß im Mund des öffentlichen Menschen alles dreckig wird […] (AB 66).



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