Gefühle by F.A.Z
Autor:F.A.Z.
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlag
veröffentlicht: 2013-11-26T00:00:00+00:00
Ekel: Die schwierige Emotion
Ekel, wem Ekel gebührt
Von Manuela Lenzen
Die Probanden hatten sich zu früh gefreut: Erst durften sie sich von einem großen Teller voller Kekse ihren Lieblingskeks aussuchen, aber bevor sie ihn essen konnten, kam der Versuchsleiter und ließ eine harmlose kleine Spinne über den Teller krabbeln. Den Probanden war der Appetit vergangen. Sie atmeten flacher, rümpften die Nase zu dem typischen Ekelgesicht und schauten nicht mehr so genau hin. Peter de Jong von der Universität Groningen sieht darin seinen Verdacht bestätigt: Die Ekelreaktion dient dazu, die Aufnahme ekliger Reize möglichst zu verringern. Während eine typische Angstreaktion den Körper auf die Flucht vorbereitet, schottet die Ekelreaktion ihn ab.
Die Puzzleteile, die Ekelforscher verschiedener Disziplinen auf einer Tagung am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung zusammentrugen, ergaben zum einen: Ekel nützt, weil er Menschen dazu bringt, sich von Krankheitserregern fernzuhalten. Nachdem eine Sendung der BBC darauf hingewiesen hatte, füllten 40.000 Personen in 165 Ländern im Internet einen Fragebogen über eklige Dinge aus. Die Auswertung zeigte, dass Menschen sich überall auf der Welt vor dem ekeln, was Krankheiten hervorrufen kann, so Valerie Curtis von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Ihr Kollege Micheál de Barra nutzte eine Facebook-Umfrage, um Ekelreaktionen in England und Bangladesh zu vergleichen. Wie ekelhaft finden Sie eine tote Maus in der Küche, Uringeruch in der öffentlichen Toilette, ungewaschene Mitmenschen? Er fand, dass Briten Situationen, die mit Tieren oder Lebensmitteln in Verbindung stehen, als die ekelhaftesten empfinden, Leute in Bangladesh hingegen solche, die sich auf ihre Mitmenschen beziehen. Disa Sauter (Amsterdam) wies nach, dass es in der Mayasprache zwar kein Wort für Ekel gibt, die Kategorie aber dennoch existiert: Sollten sie Bilder mit emotionalen Gesichtsausdrücken sortieren, legten auch die Maya die Bilder mit den angeekelten Gesichtsausdrücken zusammen.
Frösche, so Valerie Curtis, meiden kranke Artgenossen, Austernfischer bevorzugen nicht etwa die dicksten Muscheln, sie nehmen die mittelgroßen, denn bei diesen ist das Verhältnis von Ertrag und Parasitenbefall am günstigsten. Sylvia Cremer (Institute of Science and Technology, Klosterneuburg, Österreich) erläuterte das System, mit dem Ameisen und Termiten ihre Nester sauber halten. In einem Ameisenhaufen gibt es nicht nur eigene Müllwerkerinnen, die Arbeit ist so organisiert, dass diese mit jenen, die in den sauberen Bereichen des Nests arbeiten, nicht in Kontakt kommen.
Das alles bedeutet freilich nicht, dass Tiere sich ekeln, ist aber dennoch ein Argument für Kontinuität, so Curtis. Gefühle und der für Ekel typische Gesichtsausdruck seien später in der Evolution hinzugekommen. Das typische Ekelgesicht dient außer zur Abschottung des Körpers dazu, Artgenossen vor Ekligem zu warnen. Zudem können Menschen nicht nur riechen, wenn andere Angst haben, sie riechen auch, wenn andere sich ekeln, so Monique Smeets (Unilever und Universität Utrecht). Sie fand bei Versuchspersonen, die Ekelschweiß rochen, eine Mikroaktivierung der Muskeln, die das Ekelgesicht hervorrufen, und zudem weniger und kürzere Atemzüge und weniger Fixierungen des Blicks.
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