Garp und wie er die Welt sah by Irving John

Garp und wie er die Welt sah by Irving John

Autor:Irving, John [Irving, John]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-257-60150-3
veröffentlicht: 2013-11-08T05:00:00+00:00


T.S. Garp

Wachsamkeit

Wenn ich meine täglichen fünf Meilen laufe, begegne ich oft klugscheißerischen Autofahrern, die ein Stück neben [443] mir herfahren und (von ihrem sicheren Fahrersitz aus) fragen: »Wofür trainieren Sie denn?«

Tiefes und regelmäßiges Atmen ist das Geheimnis; ich bin selten außer Atem; ich keuche oder japse nie, wenn ich antworte. »Ich halte mich in Form, um Jagd auf Autos zu machen«, sage ich.

An diesem Punkt gehen die Reaktionen der Automobilisten weit auseinander; es gibt unterschiedliche Grade von Dummheit, wie es bei allem Abstufungen gibt. Sie begreifen natürlich nie, dass ich nicht sie meine – ich halte mich nicht in Form, um Jagd auf ihr Auto zu machen; wenigstens nicht draußen auf offener Straße. Dort lasse ich sie in Ruhe, obwohl ich es manchmal durchaus mit ihnen aufnehmen könnte. Und ich laufe auch nicht auf der Fahrbahn, um Aufmerksamkeit zu erregen, wie manche von ihnen glauben.

In meinem Viertel ist kein Platz zum Laufen. Man muss die Vororte hinter sich lassen, wenn man auch nur Mittelstrecken laufen will. Da, wo ich wohne, stehen an jeder Kreuzung vier Stoppschilder; die Straßenzüge sind kurz, und die rechtwinkligen Ecken sind ein Problem für meine Fußballen. Außerdem stolpert man auf den Bürgersteigen über Kinderspielzeug, wird von Hunden bedroht oder von Rasensprengern bespritzt. Und gerade wenn man einmal genug Platz zum Laufen hat, kommt einem ein älterer Mensch entgegen, der unsicher an Krücken oder knarrenden Handstöcken geht und den ganzen Bürgersteig beansprucht. So jemandem kann man nicht guten Gewissens »Bahn frei!« zurufen. Selbst wenn ich in sicherer Entfernung, aber meinem üblichen Tempo [444] an ihnen vorbeilaufe, scheint sie das zu beunruhigen; und ich habe nicht die Absicht, Herzanfälle auszulösen.

Deshalb trainiere ich draußen auf der Landstraße, aber ich trainiere für unseren Vorort. Bei meiner Kondition bin ich in unserer Gegend selbst einem Raser gewachsen. Wenn sie an den Stoppschildern auch nur halbherzig anhalten, können sie nicht über achtzig kommen, ehe sie an der nächsten Kreuzung wieder bremsen müssen. Ich hole sie immer ein. Ich kann über Rasenflächen, über Veranden, unter Schaukeln hindurch und durch Kinderplanschbecken laufen; ich kann durch Hecken brechen oder über Zäune hinwegspringen. Und da mein Motor leise – und regelmäßig und immer startbereit – ist, kann ich hören, wenn andere Autos kommen; ich brauche nicht an den Stoppschildern anzuhalten.

Am Ende hole ich sie ein und winke sie zu mir an den Straßenrand herüber; sie halten immer. Zwar bin ich ohne Zweifel in einer eindrucksvollen Kondition für die Autojagd, doch das ist es nicht, was die Raser einschüchtert. Nein – es ist vielmehr die Tatsache, dass ich Vater bin, weil sie fast immer jung sind. Ja, was ernüchternd wirkt, ist mein Status als Vater. Ich fange immer ganz einfach an. »Haben Sie dahinten meine Kinder gesehen?«, frage ich sie laut und besorgt. Eingefleischte Raser überkommt bei einer solchen Frage die Angst, sie könnten meine Kinder überfahren haben. Sie gehen unverzüglich in die Defensive.

»Ich habe zwei kleine Kinder«, erzähle ich ihnen. Und ich spreche mit bewusst dramatischer Stimme – die ich bei diesem Satz ein klein wenig beben lasse.



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