Feuerrot by Nina Blazon

Autor:Nina Blazon [Blazon, Nina]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: historischer Roman, Intrige, Liebe, Mittelalter, Inquisition, Hexen, Zauberei
Herausgeber: Ravensburger Buchverlag
veröffentlicht: 2016-02-22T00:00:00+00:00

Wassermädchen

Liebesraserei oder ungewöhnliche Liebe kann drei mögliche Ursachen haben: Unvorsichtigkeit der Augen, Versuchung seitens der Dämonen – oder Behexung.

HEINRICH KRAMER

Auch zu Maries Beerdigung war keiner der Nachbarn erschienen. „Ein paar kommen bestimmt noch“, sagte Ursel tapfer schon zum dritten Mal. „Es lassen sich bestimmt nicht alle von der Hilde Angst machen, nur weil Anna so oft bei uns war. Sicher warten sie nur das Ende des Regens ab.“ Aber Madda und Ellen warfen sich nur einen vielsagenden Blick zu.

In der Ferne grollte bereits Donner und der Regen war in der vergangenen Stunde zu einer Wand aus Silberfäden geworden. Nicht einmal die Lederflecken aus der Schmiede, die sich Maddas Familie als Regenschutz über die Köpfe hielt, halfen gegen die Nässe. Keine Kerze brannte mehr und ganze Bäche spülten lose Erde in das frisch ausgehobene kleine Grab. Der Pfarrer hatte sich in einen Wettermantel gewickelt und musste gegen das Rauschen des Regens seine Stimme erheben. Trotzdem hatte er keine weitere Stunde auf besseres Wetter warten wollen.

Obwohl es Nachmittag war, hatte der Himmel sich verdunkelt, als käme schon die Nacht. Marie, die auf ein Holzbrett gebettet lag, wirkte in diesem fahlen Dämmerlicht wie ein kleiner weißer Geist. Wie es Tradition war, hatte Madda sie vorhin in der Kirche in das weiße, mit Asche bestreute Büßertuch gehüllt und Stroh auf das Brett gestreut, auf dem die Kleine nun lag. Es war nicht üblich, den Toten Geschenke mit ins Grab zu geben, aber während der Kaplan den Weihrauch geschwenkt hatte und ihre Schwestern und ihr Vater beteten, hatte sie Marie trotzdem heimlich den Perlmuttkamm unter die Hände geschoben.

Martin und Vater versuchten, Marie vor dem fallenden Wasser zu schützen, aber trotzdem war ihr Haar nass. Und so, wie sie dalag, das zarte Gesicht dem Himmel zugewandt, wirkte sie seltsamerweise fast glücklich. Es ist das Wasser, dachte Madda. Sie ist selbst ein Wassermädchen, sie war nur zu Besuch bei uns. Und jetzt kann sie vom Himmel aus endlich auf ihren geliebten Bodensee schauen. Obwohl das Schluchzen sie wieder schüttelte, tröstete diese Vorstellung sie. Der Pfarrer sprach hastig den letzten Segen, dann nahm er den Totengräber kurz beiseite und flüsterte ihm etwas zu. Nach einem knappen Abschied eilte er sofort in die Kirche zurück. Ellen trat zu Marie und zog das Laken mit liebevoller Vorsicht über ihr Gesicht. Ursel fing wieder an zu weinen. Martin sprang vor und wollte dem Totengräber dabei helfen, das Brett mit Maries Körper sanft in das Grab zu betten. Doch der Mann scheuchte Martin und die Familie vom Grab weg und fuhr alleine mit seiner Arbeit fort. Schweigend sahen sie alle zu, wie Marie ihre letzte Ruhe fand. Martin legte Ursel fest den Arm um die Schultern und führte sie weg, kaum dass die letzte Schaufel Erde ihren Platz gefunden hatte.

„Lasst uns auch nach Hause gehen“, murmelte Ellen.

„Aber vielleicht kommen noch Leute, die Abschied nehmen wollen“, sagte Maddas Vater und wischte sich mit dem Ärmel über die Wangen.

„Bei dem Regen kommt keiner mehr“, antwortete Ellen resolut und schob ihn einfach in Richtung Friedhofspforte. In diesem Moment wurde Madda bewusst, wie alt ihr Vater geworden war.

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