Endstation Dom by Kordula Kühlem

Endstation Dom by Kordula Kühlem

Autor:Kordula Kühlem [Kühlem, Kordula]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863586034
veröffentlicht: 2014-11-17T05:00:00+00:00


DIENSTAG, 17.15 UHR

»Warum ›Gruppenbild mit Dame‹?«

Marie weiß sofort, was ich meine: »Das war ihr Vorschlag, also der der Professorin – als Erkennungszeichen.«

»Und warum haben Sie dann in den Tagen danach immer noch darin gelesen?«

Sie schaut auf ihre Hände, die ausgestreckt vor ihr auf dem Tisch liegen. »Ich hatte kein anderes Buch dabei.«

Ich hole tief Luft und richte mich auf meinem Stuhl auf: »Gut, dann einmal von vorne. Woher kommen die Böll-Dokumente?« Mit einer Geste weise ich Richtung Tür, denn während ich hier mit Marie sitze, kümmern sich meine Kollegen um die Zuordnung der Archivalien. Inzwischen haben sie wahrscheinlich schon Unterstützung von Frau Dr. Pagel bekommen, die passenderweise jetzt am Nachmittag nicht im Möbelhauslager, sondern im Stadtquartier des Archivs zu tun hat.

»Weißt du –«, sie unterbricht sich und schaut mich fragend an, »kann ich beim Du bleiben?«

Ich nicke. Zwar klingt das in einem Protokoll immer etwas unprofessionell, aber ich möchte eine mögliche Vertrauensbasis nicht durch eine solche Formfrage gefährden. Dabei ist mir selbst gar nicht bewusst, mit Marie per Du gewesen zu sein. Auf dem Campingplatz habe ich, soweit ich mich erinnern kann, überhaupt nicht mit ihr gesprochen, und beim Verhör habe ich alle gesiezt, oder irre ich mich da?

Inzwischen hat Marie jedoch den Faden schon wieder aufgenommen: »Der Einsturz des Stadtarchivs hat mich wirklich sehr betroffen. Nur zwei Wochen vorher hatte ich dort noch für meine Bachelorarbeit recherchiert.« Ihren Körper durchläuft ein leichtes Zittern. »Ohne groß nachzudenken, habe ich mich für Hilfsarbeiten gemeldet. Zuerst haben wir direkt gegenüber der Einsturzstelle auf einem Schulhof gearbeitet – die Schüler waren wohl evakuiert. Später ging es in einer Lagerhalle in einem Vorort von Köln weiter. Immer wieder bin ich von Mönchengladbach nach Köln gefahren, meine ganze Freizeit ist dafür draufgegangen.« Sie macht eine kurze Pause.

»Aber es hat sich gelohnt – was für tolle Akten ich dadurch in die Finger bekam. Na ja, und dann habe ich immer mal wieder ein Dokument mitgehen lassen. Zuerst war es nur Neugier, ob das überhaupt funktioniert. Als mir dann klar wurde, dass es wirklich geht, habe ich mir die Stücke bewusst ausgesucht.« Ihr Blick ist inzwischen starr auf die Tischplatte gerichtet, die Arme hat sie vor der Brust verschränkt.

»Sind das in deinem Rucksack alle Dokumente, die du mitgenommen hast?«

Ohne Zögern schüttelt sie den Kopf. »Nein, das sind nur die von Böll, einige andere liegen noch bei mir zu Hause.«

Wenigstens lohnt sich dann die Hausdurchsuchung, mit der gerade einige Kollegen aus Mönchengladbach beschäftigt sind.

»Hattest du eigentlich von Anfang an vor, diese zu versilbern?«

Erneutes Kopfschütteln. »Zuerst wollte ich die Dokumente nur haben, für mich. Ist doch Wahnsinn, einen Originalbrief eines Literaturnobelpreisträgers zu besitzen. Aber dann ging mir auf, dass ich diesen Brief nicht wirklich besaß, sondern nur versteckte. Niemand durfte ihn sehen, ich selbst ihn möglichst selten hervorholen. Irgendwann wollte ich die Papiere einfach nur noch loswerden und war schon drauf und dran, sie anonym dem Stadtarchiv zurückzuschicken. Doch da kam mir der Gedanke, dass vielleicht andere Personen bereit wären, dafür Geld zu bezahlen. Ich recherchierte ein bisschen und schrieb dann per Mail verschiedene Personen an – jeweils aus einem Internetcafé in deren Stadt.



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