Elefanten sieht man nicht by Susan Kreller
Autor:Susan Kreller [Kreller, Susan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg
veröffentlicht: 2015-06-27T16:00:00+00:00
vierundzwanzig
Als ich die Tür vom blauen Haus öffnete, schlug mir nicht nur der bekannte Klogeruch entgegen, sondern auch Traurigkeit, dunkle, stickige Traurigkeit, die noch schlimmer war als vorhin. Die Matratze lehnte zum Trocknen an der Wand. Max war immer noch in die Decke gewickelt, aber darunter war er jetzt nackt, seine Sachen lagen zusammen mit dem Bettlaken vor dem Regal. Er schrie nicht mehr, aber er wimmerte, und Julia hatte ihre Hände auf seine bebenden Schultern gelegt und flüsterte wie damals auf dem Spielplatz, ist ja gut, alles ist gut.
Immer wieder.
Alles ist gut.
Aber gar nichts war gut, alles war schrecklich, der Geruch und die Traurigkeit, und ich sagte gespielt fröhlich, ich hab alles dabei, hier, was zum Anziehen und was zum Waschen, sogar extra Herrenduschbad für den gepflegten Herrn.
Ich will nicht!, stieß Max in seinen kurzen Wimmerpausen hervor, ich will nicht, ich will nicht, aber da wurde Julia streng und sagte, du machst das jetzt, oder ich mach das! Sie ließ ihren Bruder los, stellte sich aber direkt vor ihn hin, als wollte sie ihn mit ihrem dünnen Körper verstecken. Ganz langsam nahm Max die Decke von seinen Schultern, und obwohl Julia ihn wie ein Bodyguard abschirmte, konnte ich genug sehen, denn an den Julia-Rändern guckte noch sehr viel Max hervor.
Oh Gott.
Nein!
Max’ Po und Rücken waren so zerschunden, dass nicht mehr viel normale Haut zu sehen war. Auf den Innenseiten seiner Arme, auf der Hinterseite der Oberschenkel, überall gab es Wunden und Striemen und blaue Flecken, von denen manche dunkler und manche heller waren. Auf jeder Pobacke war eine große rote Fläche, und jetzt sah ich, dass seine Füße genauso rot waren.
Wirklich, ich bin niemand, der andere Menschen umarmt, das hatte mir keiner beigebracht, aber in diesem Moment, in dem ich Max’ Körper sah, in diesem Moment hätte ich das am liebsten getan. Ich hätte Max am liebsten umarmt und ihn so sehr an mich gedrückt, dass es keiner mehr wagen würde, ihm was anzutun, keiner!
Trotzdem blieb ich einfach stehen, mit einem flauen Gefühl im Magen. Und dann passierte es. Ich fing an zu weinen, mir liefen die Tränen über die Wangen und in die Mundwinkel hinein. Damit keiner etwas merkte, füllte ich schnell das Wasser in die Schüssel, da, sagte ich und schob den beiden die Schüssel und auch noch den Lappen, das Handtuch und das Duschbad hin. Dann hockte ich mich in eine Ecke, aber nicht in die mit dem stinkenden Eimer, und sah Max dabei zu, wie er sich wusch. Julia, die sonst immer sehr nett zu ihm war, fuhr ihn an, dass er sich beeilen soll, und Max wusch sich erschrocken und hastig die Beine ab und den Po. Er tat das sehr still, ich konnte nicht einmal ein Wimmern hören, nur Julia, die hörte ich die ganze Zeit, los, werd endlich fertig. Für ein paar Sekunden drehte Max sein Gesicht zu mir und ich konnte sehen, wie unangenehm ihm das Waschen war, aber irgendwie fand ich auch Erleichterung in seinem Blick, immerhin hatte er dem heißen Badewasser und seinem Vater gerade ein Schnippchen geschlagen.
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