Eine Geschichte der Oper - die letzten 400 Jahre by C.H.Beck

Eine Geschichte der Oper - die letzten 400 Jahre by C.H.Beck

Autor:C.H.Beck [C.H.Beck]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406655432
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Wagner, der Italiener

Die klassischen Fallbeispiele sind Tannhäuser und Lohengrin, Zwillinge in dem Sinn, dass sie einander der äußeren Form und der Herkunft nach ähnlich sind. Beide spielen in einem nicht näher bestimmten Mittelalter, die eine in Thüringen, die andere in Brabant, und beide beruhen auf Geschichten, die Wagner aus zeitgenössischen Wiederaufgüssen der deutschen Romantik destillierte: Ritter-und-Burgfräulein-Stoffe von der Stange. Tannhäuser schöpft aus der Legende vom Sängerkrieg auf der Wartburg, worin der Protagonist Tannhäuser (Tenor), der im ersten Akt heimlich mit der Göttin Venus (Mezzosopran) angebandelt hat, im zweiten Akt den thüringischen Herrscherhof vor den Kopf stößt, indem er sich in seinem Beitrag zu dem Gesangswettstreit ausführlich über Venus’ erotische Reize auslässt. Er erhält den Befehl, sich nach Rom zu begeben und beim Papst um Absolution nachzusuchen. Im dritten Akt, in dem er ohne Begnadigung zurückkehrt, erweckt er zunächst den Eindruck, wieder auf dem Weg in den Abgrund zu sein, bis die Heldin der Oper, Elisabeth (Sopran), sich für ihn opfert, woraufhin er als glücklicher Mann sterben kann. In Lohengrin wird die Protagonistin Elsa (Sopran) von zwei böswilligen Intriganten, dem Grafen Telramund (Bariton) und seiner Frau Ortrud (Mezzosopran), wahrheitswidrig beschuldigt, ihren Bruder ermordet zu haben, und soll dafür verurteilt werden. Dann jedoch erscheint ein geheimnisvoller weißer Ritter namens Lohengrin (Tenor) auf einem von einem Schwan gezogenen Nachen und bietet sich an, sie zu verteidigen. Er stellt ihr jedoch eine Bedingung: Sie darf ihn nie nach seinem Namen oder seiner Herkunft fragen. Nachdem sie ihm dies zugesichert hat, besiegt er Telramund im Kampf und beweist damit Elsas Unschuld. Im Verlauf des abendfüllenden Dramas gewinnt Elsas Neugier die Oberhand, und sie stellt schließlich die fatale Frage. Das veranlasst Lohengrin zum sofortigen Abgang (wobei der Kahn, in dem er diesen vollzieht, dieses Mal von einer Taube gezogen wird, was all die billigen Witze über den «nächsten abgehenden Schwan» eher unbillig erscheinen lässt), doch im selben Moment erscheint Elsas Bruder auf der Bildfläche, der, wie sich herausstellt, gar nicht tot, sondern durch einen bösen Fluch, der jetzt aufgehoben ist, in einen Schwan verwandelt war.

Am klarsten können wir Wagners Belcanto-Wurzeln in den schönen, ausladenden Melodien erkennen, die sich innerhalb der konventionellen Nummern in beiden Opern entfalten. Doch bevor wir diesen Faden weiterspinnen, sollten wir uns Wagners Bewunderung für Vincenzo Bellini auf der Zunge zergehen lassen, den er bis an sein Lebensende den «sanften Sizilianer» nannte.[9] In den 1830er und 1840er Jahren brachte Wagner es noch über sich, dem Bannerträger der Belcanto-Ästhetik eine Reverenz nicht nur durch Anleihen an seiner melodischen Sprache zu erweisen, sondern auch in Wort und Schrift. 1837 verfasste er unter dem Titel «Bellini. Ein Wort zu seiner Zeit» einen Nachruf auf den 1835 Verstorbenen, in dem er seine Landsleute ermahnte, sich ehrliche Rechenschaft über ihre Leidenschaften abzulegen:

Wie wenig sind wir doch eigentlich von all dem närrischen Krame von Vorurteilen und Einbildungen wirklich überzeugt; wie oft mag es uns wohl passiert sein, dass wir bei der Anhörung einer italienischen oder französischen Oper entzückt wurden, und als wir das Theater verließen, mit einem mitleidigen Witz unsere Aufregung hinweg spotteten.



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