Ein Mord in Riga (German Edition) by Karl von Holtei

Ein Mord in Riga (German Edition) by Karl von Holtei

Autor:Karl von Holtei [von Holtei, Karl]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-03-27T22:00:00+00:00


Vierzehntes Kapitel

Die Untersuchung hatte sich so lange fortgeschleppt, daß sie durch die herannahenden Ostern unterbrochen wurde und während der Festtage ruhen sollte. Doch gerade diese Tage benützte der Pope, welchem die Seelsorge der Gefängnisse übertragen war, zu einem Hauptangriff auf den Verbrecher. Wahrscheinlich wurde er dazu weniger vom Inquirenten als vielmehr von seinem Archimandriten angetrieben, welcher in Iwan, dem Sohne eines ketzerischen Altgläubigen, eine ihm und der rechtgläubigen griechischen Kirche entzogene – Dank sei es der sträflichen Nachsicht des vorigen Polizeimeisters! – Beute sah und nun wenigstens der irdischen Gerechtigkeit das Opfer zu liefern wünschte. Ein Wunsch, der ohne des Verbrechers Eingeständnis, trotz aller wider ihn sprechenden Indizien, doch vielleicht nicht in Erfüllung ging.

Was der Pristaff nicht herausgebracht, das sollte der Pope herauszubringen versuchen, und dieser einigte sich bald mit jenem, der, weil er fast schon müde geworden, gern auf die Ehre verzichtete, wenn nur endlich ein Resultat erzielt wurde.

Der Pope erhielt die Bewilligung, mit dem Gefangenen, wie mit einer Sache, nach eigenem Ermessen zu verfahren. Die langen Fasten, an und für sich schon zehrend genug, im Kerker nun vollends aushungernd und schwächend, hatten Iwan, der einer gediegenen Kost während seiner Dienstzeit bei Muschkin gewöhnt gewesen, sehr heruntergebracht und ihn mit einer wahren Freßgier erfüllt. Er klagte über nichts mehr als über Hunger, und wenn er dem fetten Popen gegenüberstand, fletschte er bisweilen die schönen Zähne, als hätt er Gelüste, einen Biß in die feisten Wangen zu tun und den Mann der griechischen Kirche anzunagen.

Am Freitage vor Ostern überraschte ihn der Wohlgenährte mit dem Antrage, ihn zu füttern. Iwan wußte nicht, ob er recht hörte, als ihm gesagt wurde: »Ich hege Mitleid mit dir, mein Söhnchen; magst du immer ein schwerer Verbrecher sein, hängt es doch nur von dir ab, durch reuiges Geständnis wieder mein Bruder zu werden, und ein Mensch bleibst du immer. Ich will nicht, daß Gottes Kreatur so wilden Hunger leide, und deshalb werd ich dir heute abend gute Speise bringen; aber es bleibt unter uns, und du darfst mich für meine Christenliebe beim Gefangenwärter nicht etwa verraten.«

Wer war froher als Iwan! Er zählte die Augenblicke bis zur Dunkelstunde; er malte sich mit all der Lebhaftigkeit, deren ein leerer Magen von zwanzig Jahren nur fähig ist, die unnennbare Wonne aus, zermalmen, verschlucken, sich sättigen zu dürfen.

Und als er Tritte im Gange vernahm! Als die Riegel an seiner Zellenpforte zurückgeschoben wurden! Als der Pope, bei der Finsternis kaum sichtbar, ihm ein Päckchen in Papier gehüllt zuschob: »Da, nimm, iß! Weißbrot, gute Fische; wohl bekomm dir's! Und gehe in dich!«

Er bemerkte gar nicht, daß er wieder allein war; er hörte gar nicht, daß die Pforte wieder geschlossen, die Riegel wieder vorgeschoben wurden; daß die Tritte auf dem Gange wieder verhallten.

Er verschlang nur, nicht wie ein essender Mensch, wie ein wildes Raubtier, ohne schmeckend zu prüfen, was er genoß.

Ehe eine Viertelstunde vergangen, hatte er einige Semmeln verzehrt und ein halbes Dutzend scharf gesalzener Heringe.

Und dem Tiere gleich, wenn es sich den Wanst überfüllt, warf er sich auf die Pritsche und versank in bleiernen Schlaf.



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