Dunkle Vergeltung by James Sallis

Dunkle Vergeltung by James Sallis

Autor:James Sallis
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Tags: Krimi
ISBN: 9783453434110
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2010-09-12T22:00:00+00:00


Kapitel Fünfzehn

Als ich damals als Therapeut arbeitete - nachdem ich mir in Memphis einen gewissen Namen gemacht hatte -, schien ich immer die harten Fälle zu bekommen, diejenigen, die sonst niemand wollte. Sogenannte »Überweisungen«. Es war wie bei »guten Ratschlägen«, von denen Oscar Wilde gesagt hat: das Beste, was man mit ihnen tun kann, ist, sie weiterzugeben, und zwar schnell. Meistens erwiesen sich diese »Überweisungen« als mürrische, schwer geschädigte Tpyen, nie sonderlich begabt in zwischenmenschlicher Kommunikation, gewohnt sich allem anzupassen. Doch irgendwann hatte der Anpassungsmechanismus versagt, so dass sie häufig auf recht spektakuläre Weise zusammenbrachen.

Von daher war ich einigermaßen überrascht von Stan Bellisons ruhigem Verhalten. Ich wusste nur wenig von ihm. Er war Gefängniswärter oder war es gewesen, und er hatte ein schweres, beruflich bedingtes Trauma erlitten. Der Termin war von seiner vorgesetzten Dienststelle vereinbart worden.

Warum sind Sie hier?, so lautet die übliche, abgedroschene erste Frage. Doch diesmal musste ich sie nicht stellen. Stan betrat den Raum, setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl und sagte, nachdem er sich vorgestellt hatte: »Ich bin hier, weil ich als Geisel genommen wurde.«

Zwei Gefängnisinsassen hatten während der Arbeit ein Sägeblatt aus seinem Gehäuse entfernt, es einem Wärter an die Kehle gehalten und einen anderen - Stan, der versucht hatte, seinem Kollegen zu Hilfe zu eilen - als Geisel genommen. Nachdem sie alle anderen fortgeschickt hatten, hatten die Häftlinge sich in der Werkstatt verbarrikadiert und, als Kontakt zu ihnen aufgenommen wurde, verkündet, sie würden ausschließlich mit dem Gouverneur persönlich sprechen. Den ersten Wärter ließen sie als Zeichen ihres guten Willens frei. Stan, den sie ihren Mr. Good-Boy nannten, behielten sie.

»Sie waren ein Cop«, sagte Bellison. Wieder fiel mir seine Ungezwungenheit auf.

»Kein besonders guter, fürchte ich.«

»Dann wollen wir mal hoffen, dass Sie als Therapeut besser sind«, sagte er und lachte. »Ich will nicht hier sein, wissen Sie.«

»Das wollen nur wenige.«

Sein Blick, der nun meinem begegnete, war klar und fest.

Jeden Tag schnitten die Sträflinge einen Finger ab. Die Geschichte zog sich über acht Tage hin.

Am letzten Tag trat der Anführer der Häftlinge, ein gewisser Billy Basil, aus der Tür, um eine Pizza vom Boden aufzuheben, die dort abgestellt worden war, und hatte eine Begegnung mit der Kugel eines Scharfschützen. Der Gouverneur war nicht aus der Hauptstadt gekommen, um zu verhandeln, hatte aber klare Anweisungen gegeben.

»Dann war es damit wenigstens vorbei«, sagte ich. »Das Trauma, das, was die Ihnen angetan haben, das werden Sie natürlich noch ziemlich lange behalten.«

»Sie verstehen nicht«, sagte Stan Bellison zu mir. »Der andere Häftling … sein Name war Kyle Beck. An diesem letzten Tag, als er da stand und Billys Leiche in der offenen Tür anstarrte, da habe ich mich von hinten an ihn angeschlichen und habe ihm mit meinen Daumen die Augen ausgestochen.«

Er hob seine Hände. Ich sah die groben Stümpfe dessen, was mal Finger gewesen waren. Und die Daumen, die geblieben waren.



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