Die Zarin der Nacht by Eva Stachniak
Autor:Eva Stachniak [Stachniak, Eva]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 3458359567
Google: g9d0nAEACAAJ
Amazon: 3458359567
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2013-09-10T22:00:00+00:00
Eine Szene aus der Vergangenheit kommt ihr in den Sinn: Ein Nachmittag in Zarskoje Selo. Hinter ihnen liegt, was sie »die Stunde der Liebe« nennen. In der Galerie überall Tupfen von Sonnenlicht. Die schwarzen Eisenstühle stehen im Kreis um den Tisch herum, der duftende Tee ist mit Honig aus Astrachan gesüÃt, demselben Honig, den der Koch auf die Gurkenscheibchen gestrichen hat. Platon sitzt neben ihr, sehr elegant in seinem mit Silber bestickten Jackett, am Kinn ein Schatten von schwarzem Bart.
Was geht ihm durch den Kopf? Erinnerungen an ihre Lust?
Paul und Maria Fjodorowna haben sich zu ihnen gesellt. An ihren blitzblanken Gesichtern kann sie ablesen, dass sie entschlossen sind, sich liebenswürdig heiter zu geben und nicht den kleinsten Anstoà zu erregen. Paul erklärt, dass er die jüngsten UmbaumaÃnahmen überaus gelungen findet. »Weniger protziger Glanz, dafür mehr Eleganz«, sagt er. Die diskret geschmackvollen Porzellanornamente gefallen ihm unendlich viel besser als all das Gold, für das Elisabeth so schwärmte. Er dankt es seiner GroÃmutter nicht, dass sie ihn seiner Mutter weggenommen hat. Die lebende Kaiserin triumphiert über die tote.
Maria Fjodorowna zollt pflichtschuldig den Büsten in der Galerie ihre Bewunderung. Demosthenes und Cicero, beide tief sinnend und wunderbar abgeklärt. »Kein Wunder, dass die Jungen hier so gern spielen. Ich hoffe nur, sie machen nichts kaputt.«
Die Prinzen des Reichs sind natürlich keine streunenden Lausbuben. Sie sind nie ohne Aufsicht und planvolle Unterweisung, dafür hat ihre GroÃmutter von Anfang an gesorgt. Und wenn es auch ihrer Schwiegertochter schwerfallen mag, das zu begreifen, so ist es doch wahr, dass man die wichtigen Dinge am besten im Spiel lernt.
Aber sie spricht es nicht aus. Es würde nur die heitere Stimmung stören.
Die Unterhaltung wendet sich einem Gemälde zu, das die Kaiserin vor kurzem gekauft hat. Ein Strauà Tulpen in einer Kristallvase, weiÃe Blütenblätter mit gelben und rosa Einsprengseln. Ein Blütenblatt ist schon abgefallen. Es liegt auf dem Tischtuch, ein glänzender Tautropfen hängt daran. Der Händler nannte es ein Bild der vanitas, der Vergänglichkeit allen Lebens. Im Hintergrund kann man die Umrisse einer Sanduhr und eines krümeligen Stücks Brot erkennen.
Le Noiraud fasst in seine Brustasche. In seinen Augen ist ein schelmisches Funkeln. Offenbar heckt er wieder etwas aus, einen jener Scherze, mit denen er die Langeweile vertreibt. Er zieht ein Buch hervor, Holbergs Moralische Gedanken, und schlägt es auf, scheinbar aufs Geratewohl, aber sie weiÃ, dass dieser Eindruck täuscht: Er hat Stellen für verschiedene Gelegenheiten mit farbigen Bändchen eingemerkt. Rot für Kritik an menschlichen Schwächen. Gelb für raffiniert Zynisches. Grün für aufmunternde Gedanken.
Bildet euch ein, dass ihr glücklich seid, so seid ihr es tatsächlich.
Er klappt das Buch zu.
»Ach so ist das!«, sagt sie und versetzt ihm mit ihrem Fächer einen Klaps auf die Wange. »Du stellst dir nur vor, dass du glücklich bist?«
Philosophie und Witz sind nicht Le Noirauds Stärken, aber er schafft es gewöhnlich, sich mit seinem Charme aus der Affäre zu ziehen und sie mit einer blumigen Liebeserklärung zum Lachen zu bringen.
Aber an diesem sonnengesprenkelten Nachmittag, den sie da in Gesellschaft marmorner antiker Weiser verbringen, passiert etwas Unerwartetes.
Paul,
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