Die Woll-Lust der Maria Dolors by Busquets Blanca

Die Woll-Lust der Maria Dolors by Busquets Blanca

Autor:Busquets, Blanca [Busquets, Blanca]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2015-07-20T16:00:00+00:00


Der Ausschnitt

Früher, in den ersten zwölf Jahren ihrer Ehe, hatte Dolors für die Mädchen und sich selbst unheimlich viel gestrickt. Schals, Stulpen, Strümpfe, Handschuhe, Jacken – und vor allem Pullover, dicke kuschelige für den Winter, und leichte aus Baumwolle für den Sommer. Die Winterpullover machte sie immer mit Rollkragen, bei den Pullovern für den Sommer war die Sache hingegen nicht so einfach: Auch wenn die Zeiten sich langsam änderten und es mit der Fabrik abwärtsging, wurde von ihr als Frau eines Direktors doch ein gewisser Anstand erwartet, weshalb sie nicht zu viel Haut zeigen durfte. Bei den Mädchen musste sie zum Glück nicht darauf achten: Den Ausschnitt strickte sie immer so, dass er nicht zu eng anlag, sondern dass sie es schön luftig hatten.

Nachdem sie so viele Jahre nicht mehr für ein junges Mädchen gestrickt hat, muss Dolors nun bei der Lektüre ihrer Strickzeitschrift feststellen, dass sich die Dinge doch sehr geändert haben. Was die jungen Leute heutzutage tragen, kann man fast schon nicht mehr Ausschnitt nennen, so wie es in der Anleitung für den Pullover steht, den sie sich für Sandra ausgesucht hat, ist die Öffnung für den Hals so groß, dass sie fast über die Schultern rutscht. Aber eben nur fast, darin liegt die Herausforderung, nicht dass ihre Enkelin zur Zielscheibe des Spotts wird. Es geht also darum, kokett die Schultern zu zeigen und auch die Träger von dem BH und dem Top, die sie darunter trägt. Die Glückliche, sagt sich Dolors. In ihrer Jugend hatte sie auf so etwas noch nicht geachtet, weil in ihrem Umfeld niemand freizügig gekleidet war, später aber verspürte sie Neid und Wut, als sie sah, dass bestimmte Frauen mithilfe des Ausschnitts ihre besten Seiten zur Geltung bringen konnten, während sie bis oben hin zugeknöpft oder mit diesen hochgeschlossenen, wohlanständigen Pullovern herumlaufen musste.

Wo willst du in diesem Aufzug hin?!, fragte Eduard, als sie das erste Mal eine Bluse trug, die etwas mehr sehen ließ, als das seiner Meinung nach erlaubt war. Einkaufen, erwiderte Dolors kurz angebunden, während sie ihren Groll hinunterschluckte, um ihn dem Ehemann nicht, in eine Dosis Gift verwandelt, ins Gesicht zu spucken. Darauf war Eduard verstummt, denn Dolors’ Stimme duldete keinen weiteren Widerspruch. In diesem Moment verspürte sie nicht übel Lust, auch noch in den durchscheinenden Rock zu schlüpfen, den sie zusammen mit der Bluse gekauft hatte und der in ihrem Schrank hing, weil es ihr zu gewagt erschienen war, beides zusammen anzuziehen.

Eduard hatte ihr nichts mehr vorzuschreiben, noch aber versuchte er es. Er war wie der Schwanz einer Eidechse, der infolge der Reflexe noch zuckte, obwohl er längst abgehackt war. Doch es waren die letzten Zuckungen. Er ahnte bereits, dass Dolors nicht länger auf ihn hören würde, dass ihr Spiel des Gebens und Nehmens im Tausch gegen ihre beidseitige Verschwiegenheit zu Ende war. Dolors war dieses Spiel leid. Jetzt war sie es, die bestimmte, wo es in ihrem Leben langging.

Bitte, Mama, versuch, mich zu verstehen, aber ich werde sicher nicht zurückkommen, solange ich mit Papa unter einem Dach leben



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