Die Wiederkehr der Illusion by Koch Gertrud

Die Wiederkehr der Illusion by Koch Gertrud

Autor:Koch, Gertrud
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2016-11-16T00:00:00+00:00


II.4.1. Die Masse des Films

Unbestreitbar bekommt die Masse im Kino ein neues Medium, das der Eigenschaft der Unbestimmbarkeit der Masse entgegenkommt. Worin nun und wie tut es dies? In den zitierten literarischen Evokationen der Masse wird diese als Straßenbild vorgestellt, durch das der Protagonist der Erzählung mit Schritten und Blicken schweift. Die Ungerichtetheit der Masse wird zum Wogen durch die unendlich verästelten Straßen der ›großen‹ Stadt, die Stadt zum Medium der Masse und die Masse zum Medium der Urbanität, die sich durch die räumliche Unabgeschlossenheit bestimmt, das Ausgreifen der Straßen in unbekannte Räume. In Bildern der Masse hingegen wird notwendigerweise mit Pars-pro-toto-Verfahren gearbeitet, insoweit das Bild durch den Rahmen begrenzt wird und die Flächigkeit der horizontlosen Masse in einen Tiefenraum eingepasst werden muss. Mit den Bewegungsbildern des Films nun tritt ein 173Medium auf den Plan, das sich durch fließende Horizontverschiebungen auszeichnet, die den Rahmen der Malerei verlassen. Statt des Rahmens, der das Bild in seiner Extension festschreibt, wird die Projektionsfläche des Filmbildes von einer ›Kaschierung‹ (cache) reguliert, die etwas ›abdeckt‹ beziehungsweise wörtlich ›versteckt‹. Christian Metz hat diesen Umstand folgendermaßen beschrieben:

Der Film besteht aus einer Vielzahl von Bildern, auch von Kamerabewegungen, so dass das Objekt, das sich im Off befand, wieder ins Kamerafeld geraten und dieses neuerlich verlassen kann etc. (das ist die Theorie des cache von Bazin). Das Off wird alternierend von Flut und Ebbe erfasst: Es ist Off, aber es befindet sich nicht außerhalb des Films. Darüber hinaus erlauben Ton und Stimme einer Figur, selbst außerhalb des Gesichtfeldes anwesend zu bleiben […]. Zusammenfassend lässt sich sagen […], dass das Off des Kinos besetzt ist, weil in ihm ununterbrochen etwas passiert, von dem wir etwas wissen, und weil es unzählige Verbindungen zu dem gibt, was innerhalb des Bildausschnittes stattfindet.[177]

Die Bestimmung des Bildes auf der Leinwand durch das Off, das potenziell sichtbar ist und insofern die Vorstellung des Betrachters ständig begleitet, quasi aus dem Versteck heraus auf unser Vorstellungsvermögen einwirkt, wird von Metz in Metaphern der Masse beschrieben, wenn von der »Vielzahl«, von »Ebbe und Flut« die Rede ist. Film wird hier definiert durch seinen »bewegbaren Rahmen«, einen »variierbaren und ständig erneuerten Ausschnitt«, »Veränderungen der Kadrierungen zwischen den Einstellungen und in den Einstellungen selbst«.[178] Dieses ständige Öffnen und Schließen von Horizonten und Räumen, das in der Metapher von »Ebbe und Flut« gefasst wird, trägt in sich die Züge der formlosen Masse, die in ihrem Erscheinen aus dem ›Versteck‹ heraus, durch den »Schleier«, zu einer Figur des Sublimen wird, das zugleich fern und nah, ergreifend und abweisend ist. Die multiperspektivischen Montagen des Films sind in ihrer formalen Struktur auf die illusionistische Evokation endloser Entrahmung der Welt ausgerichtet, im Kern wird hier eine Ästhetik der Masse sichtbar. Metz baut sein Argument im Vergleich zur Fotografie auf und setzt beide in Bezug zur Fetischbildung, ein Zusammenhang, dem ich hier 174nicht weiter nachgehen möchte. Unterstrichen wird bei Metz die schiere ›Größe‹ des Films, die Mobilisierung »vieler verschiedener Wahrnehmungen«, er spricht von einer »vorüberziehenden Flut«, die keine Vereinzelung eines einzigen Bildes erlaubt.[179] Löst man Metzens Metaphern



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