Die Verlorenheit der Beute: Kriminalroman (German Edition) by Schulz Stephan

Autor:Schulz, Stephan [Schulz, Stephan]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Gegenwartsliteratur, Belletristik, Drama, Roman, Kriminalroman, Krimis & Thriller
veröffentlicht: 2015-01-22T16:00:00+00:00

Eine Woche später macht Harry bei einem stadtbekannten Juwelier im Zentrum zwei von seinen vier Rolex-Uhren zu Geld. Seit seinem Rauswurf ist er durchgängig auf Koks und hat seinen täglichen Wodkaverbrauch auf zwei Liter hochgeschraubt. Er hadert mit seinem Schicksal, kommt nicht damit klar, dass Lenni ihm nach all den Jahren den Boden unter den Füßen weggezogen hat.

Dass er Lenni beschissen hat, spielt in seinem Melodram keine Rolle.

Er fragt sich, wie er mit knapp zwanzig Riesen, die noch in seinem Safe schlummern, und den dreißig, die jetzt in der Innentasche seines Mantels stecken, klarkommen soll. Okay, da gibt’s noch so einiges, das er zu Geld machen könnte. Zum Beispiel den Ferrari 308, in den er einsteigen kann, aber ohne fremde Hilfe nicht mehr rauskommt. Die vier Harleys. Sein Haus am Ijsselmeer und die schwedische Fahrtenyacht. Wahrscheinlich gibt’s noch mehr Potential, wenn er darüber nachdenkt.

Will er aber nicht.

Harry hat hart dafür gearbeitet, da zu sein, wo er ist, beziehungsweise war. Vierzig Jahre Scheiße gefressen und sich hochgedient. Er war schon im Geschäft, da hatte Lenni, dieser Arsch, noch keine Haare am Sack. So einfach lässt er sich nicht abservieren, so schnell steckt er nicht auf. Lenni und dieser Klugscheißer Niko werden sich noch wundern.

Niko, dieser griechische Bastard!

Er tritt aus dem Juweliergeschäft und stößt in der Fußgängerzone mit einem verpeilten Opa zusammen, der sich für das Versehen entschuldigt.

»Macht nichts«, erwidert Harry und checkt sofort, ob er Opfer eines Taschendiebstahls geworden ist.

Da ist er alte Schule. In den Sechzigern hat er als Teenager mit genau so einer Masche auf der Straße angefangen. Egal wie viel Koks oder Alkohol er in petto hat, die alten Instinkte sind geblieben.

Sowohl der Umschlag als auch Harry sind perforiert. Aber das weiß er nicht. Der Umschlag mit dem Geld ist noch an Ort und Stelle, das genügt ihm. Also hadert er weiter mit seinem Schicksal. Der Zusammenstoß mit dem Opa ist bereits nach fünf Schritten vergessen. Nach weiteren fünf Schritten wird ihm schwindlig. Er geht auf die Knie und kippt vornüber. Passanten bleiben stehen. Ein junges Pärchen nimmt sich seiner an. Sie drehen Harry auf den Rücken. Jemand ruft einen Notarzt. Die beiden Ersthelfer reden mit ihm. Harry ist ansprechbar. Die junge Frau fragt nach Medikamenten, die er einnehmen muss.

Harry verneint. »Ich bin gesund. Ist nur der Kreislauf.«

Aber Harrys Kreislauf stabilisiert sich nicht. Im Gegenteil. Sein Zustand verschlechtert sich. Als der Notarzt eintrifft, ist er seit zwei Minuten tot.

Aus dem rechtsmedizinischen Gutachten wird hervorgehen, dass Harry einem direkten Stich ins Herz erlegen ist. Ein bemerkenswert präziser Volltreffer. Als Tatwaffe kommt aufgrund des auffällig kleinen Durchmessers des Einstichs ein Eispickel in Frage.

»Ein nahezu schmerzfreier und zu hundert Prozent sicherer Tod. Womit er sich in bester Gesellschaft befindet«, schließt der Rechtsmediziner begeistert seinen mündlichen Bericht vor den ermittelnden Beamten. »Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern, besser bekannt als Sissi, starb in Genf auf die gleiche Art.«

Interessant. Die Ermittler bringt das aber nicht auf eine heiße Spur, nicht einmal auf eine kalte.

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