Die Toten von St. Pauli by Robert Brack

Autor:Robert Brack [Brack, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimis & Thriller, Kriminalroman
ISBN: 9783548287652
Herausgeber: Ullstein Taschenbuch
veröffentlicht: 2016-02-12T00:00:00+00:00

Achtes Kapitel:

VARIETÉ

Mit einer gestandenen Frau über diese Frauensache reden. Das war sein Gedanke gewesen, als er sich auf den Weg in die Kastanienallee gemacht hatte. Inzwischen ging auch er davon aus, dass hinter den Kindermorden eine Frau stecken musste. Eine Erkundung der Abgründe der weiblichen Seele, vielleicht kam es darauf an? Das Unvorstellbare ergründen. Eine Frauensache, und Polizisten waren nun mal keine Frauen. Also musste man eine fragen, eine, die sich im Leben auskannte. Klar wie Kloßbrühe, dachte Weber.

Wenn es nun aber doch keine Täterin war? Vielleicht ein geisteskranker Mann? Seit dem Krieg sah Weber die Menschen in einem anderen Licht. Alles war denkbar in diesen irrwitzigen Zeiten, vor allem das Schlechte. Also doch keine Frauensache? Dann ging er besser nicht da rein. Er legte die Hand auf die Türklinke, starrte den Anker an, der goldgelb in die grünlich-blaue Scheibe der Eingangstür eingelassen war. Erst jetzt bemerkte er, dass zu dem Bild noch mehr gehörte: Der Anker hing an einer Kette und lag auf dem Meeresgrund. Fische, ein Seestern, Sand. »Fallen Anker!« waren die letzten Worte seines Großvaters gewesen, der zur See gefahren war. Was einem nicht so alles durch den Kopf ging. Wie auch immer, ein Bierchen konnte nicht schaden.

Zigarrenrauch und Grogdunst kamen ihm entgegen. Aus irgendeinem Grund roch es hier dennoch besser als in den meisten Gaststätten. Er setzte sich an den kleinen runden Tisch neben dem Kachelofen und ließ seinen Blick über die Schiffsmodelle unter der Decke schweifen. Tat so, als wüsste er gar nicht, in wessen Lokal er sich hier befand. Versuchte, sie zu ignorieren, obwohl das nicht leicht war. Heute trug sie kein Schwarz, sondern ein Kleid aus leichtem, rotbraunem Stoff, das ihre Rundungen zur Geltung brachte. Eine Schürze um die Hüften. Die hochgesteckten Haare gaben den Blick auf ihren schlanken Hals frei, und die Haube auf ihrem Kopf wirkte kein bisschen altmodisch oder betulich. Sie wusste sich so zu bewegen, dass die Männer ihr Bewunderung und Respekt gleichermaßen entgegenbrachten. Ein dunkler Lippenstift und etwas Rouge auf ihren Wangen.

Als sie sich vor ihm aufbaute, kam es ihm vor, als hätte sie bemerkt, dass er die ganze Zeit absichtlich weggeschaut hatte. Jedenfalls legte sie, fast schon kokett, eine Hand an die Hüfte und stellte sich so vor ihn hin, dass der Stoff ihres Kleids auf eine besondere Weise ihren Körper umfloss. Weber strich sich mit der Hand über den Kopf, drückte gegen seine schmerzenden Beulen und verzog das Gesicht.

»Na, Herr Kriminal-Oberwachtmeister, durstig?«, fragte sie.

Das Wort »durstig«, ausgesprochen von diesen elegant geschwungenen Lippen, bewirkte, dass er sich schlagartig wie ausgetrocknet fühlte.

»Gern«, sagte er linkisch.

»Also eine Tulpe Holsten.«

Dem einen Bier folgte bald das nächste. Weber zog irgendwann das Jackett aus und hängte es über die Stuhllehne. Nahm sich eine Zeitung und las oberflächlich darin. Kam mit einem Nieter und einem Schauermann ins Gespräch, setzte sich an ihren Tisch, drosch eine Runde Skat mit ihnen, weil der dritte Mann nicht gekommen war, und nahm, nachdem sie gegangen waren, wieder an dem kleinen runden Tisch neben dem Ofen Platz.

»Na, Herr Kriminal-Oberwachtmeister, hungrig?«

»Und ob.

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