Die Tatarin by Iny Lorentz

Die Tatarin by Iny Lorentz

Autor:Iny Lorentz
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2005-12-07T23:00:00+00:00


X.

Krapiwno war nur ein winziges Dorf mit windschiefen Katen und einer kleinen, hölzernen Festung, die aus einer Hand voll von einer Palisade umgebenen Blockhütten bestand und in normalen Zeiten vielleicht fünfzig Mann beherbergte. Zu diesem Zeitpunkt gab es dort zwar nicht mehr russische Soldaten, aber um die Palisade herum lagerten etliche hundert Bewaffnete in abgeschabten Lederkaftanen und mit Pelz- oder Filzmützen auf den Köpfen, unter denen flache, kurznasige Gesichter mit kleinen, flinken Augen zu erkennen waren. Die Männer saßen gruppenweise auf Fellen oder Reisigbüscheln, die sie in den Schnee geworfen hatten, tranken dampfenden Tee aus Horntassen oder ließen Wodkaflaschen kreisen. Einige von ihnen brieten Fleisch an den kleinen Lagerfeuern und verzehrten es noch halb roh. Ihre Bewaffnung bestand aus hölzernen Keulen, Speeren, verschiedensten Dolchen, Haumessern und einigen wenigen Säbeln. Fast alle verfügten über einen Hornbogen und einen gut gefüllten Köcher mit Pfeilen, aber es war kaum eine Pistole oder ein Gewehr zu sehen.

Sergej schätzte die Zahl der Männer auf etwa fünfhundert, setzte ihren militärischen Wert jedoch mit Null an. Das Einzige, was für sie sprach, waren ihre Pferde. Jeder schien gut beritten zu sein, und sie verfügten über mehr als hundert Ersatzpferde, die wohl zum Tragen der Beute gedacht waren. Sergej fragte sich, was passieren würde, wenn er mit diesen Burschen gegen die Schweden anritt. Vermutlich würde sich mindestens die Hälfte beim ersten feindlichen Schuss aus dem Staub machen.

Schirin hatte ihre Augen ebenfalls über die asiatischen Reiter wandern lassen, unter denen sie Kalmücken, Baschkiren und einige andere Sibirier identifizierte, und setzte ihren Wert um einiges höher an als der russische Hauptmann. Wie die Tataren waren diese Männer Krieger, die mit Verstand kämpften. Auch wenn sie versuchten, übertriebene Verluste zu vermeiden, so waren sie keine Feiglinge. Ihnen mochte die Art, wie die Russen Krieg führten, nicht liegen, für einen wirkungsvollen Überfall auf kleinere Scharen waren sie jedoch besser geeignet als normale Soldaten.

Die Steppenreiter blickten nur kurz auf, als die Neuankömmlinge zwischen ihnen hindurchritten, die Soldaten in der kleinen Festung schienen sie jedoch schon händeringend erwartet zu haben, und kaum hatte Sergej die Palisade passiert, schoss aus einer der Hütten ein Major auf ihn zu. »Kommt Ihr, um uns von diesen Schurken da draußen zu befreien?«

Sergej berührte die Pelzmütze, die er bei diesem Wetter anstelle des Dreispitzes trug, mit der behandschuhten Rechten zum Gruß. »Sergej Wassiljewitsch Tarlow. Ich komme im Auftrag des Fürsten Apraxin, um das Kommando über die Hilfstruppe zu übernehmen.«

»Der Heiligen Jungfrau von Kasan sei Dank, dass ich dieses Gesindel endlich loswerde! Man hat sie mir geschickt, ohne mich vorher zu informieren oder die entsprechenden Vorräte zu senden. Es war schrecklich. Die Kerle haben den Bauern in der Umgebung die letzten Ziegen aus den Ställen geholt, um sie zu schlachten, und die Weiber mussten sich vor ihnen im Wald verstecken, und das mitten im Winter. Ich habe ein paarmal daran gedacht, mit Waffengewalt gegen diese Hunde vorzugehen, aber da sie meinen armen Soldatskis mehr als zehnfach überlegen sind, hätte es ein Blutbad gegeben.«

Der Major schien froh zu sein, sich seinen Ärger von der Seele reden zu können.



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