Die Schwestern vom Ku’damm: Tage der Hoffnung by Brigitte Riebe
Autor:Brigitte Riebe [Riebe, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644200500
Herausgeber: Rowohlt E-Book
8
Berlin, Spätherbst/Winter 1960
Die Farben sangen wieder, wenn Flori malte, wenngleich Lindberg alles daransetzte, ihr Dasein zu vergiften. In der Hochschule sah er einfach durch sie hindurch, kommentierte keine ihrer Arbeiten und schwieg sogar, wenn sie ihn etwas fragte. Natürlich wussten inzwischen alle in der Klasse, dass etwas zwischen ihnen war, beziehungsweise eben nicht mehr war. Aber zu Floris Erleichterung reagierten ihre Mitstudenten betroffen, nicht mit Spott oder Häme, wie zunächst von ihr befürchtet. Sogar die kühle Jette, die sonst eigentlich niemals Gefühle zeigte, nahm Flori kurz zur Seite.
«Mach dir nichts draus», riet sie ihr. «Ähnliches hat er damals bei mir auch versucht. Lass dir einfach nichts anmerken, dann verliert Lindberg die Lust daran. Spätestens, sobald ihm eine Neue vor die Linse läuft.»
«Und das hast du ausgehalten?»
Jette zuckte die Achseln. «Was blieb mir anderes übrig?», sagte sie. «Schließlich ist Kunst doch wichtiger als so ein aufgeblasener Typ, oder etwa nicht? Also, Kopf hoch! Die Welt hat noch mehr zu bieten als Rufus Lindberg!»
Jette hatte gut reden. Am Tag der offenen Tür, an dem die Hochschule zum Ende des Sommersemesters ihre Pforten für Besucher geöffnet hatte, war sie von einem engagierten jungen Galeristen entdeckt worden, der sie spontan unter Vertrag nahm. In wenigen Wochen würde er einige ihrer Arbeiten in seiner Schöneberger Galerie präsentieren; ein kleiner Begleitkatalog befand sich bereits im Druck.
«Ich werde es versuchen», versprach Flori. Doch sie war eben keine Jette. Ihr kroch Lindbergs feindselige Missachtung tief unter die Haut, machte sie gereizt, überempfindlich und leider auch wieder schlaflos. Die langen Nächte an der heimischen Staffelei begannen erneut, doch jetzt beflügelte sie nicht Euphorie wie damals am Anfang ihrer Verliebtheit, jetzt trieb sie pure Verzweiflung.
Flori malte ums Überleben, so jedenfalls fühlte es sich für sie an.
Celans Gedichte konnte sie auf einmal nicht mehr ertragen. In ihr tönte eine wilde eigene Musik, die sich von Bild zu Bild immer weiter steigerte, bis sie Flori mit ihrem Crescendo regelrecht zu erschlagen drohte. Manchmal brauchte sie Tage, um sich von diesen nächtlichen Marathonsessions zu erholen. Dämonentanz, so nannte sie den neuen Zyklus, weil er dunkel, obsessiv und vor allem erbarmungslos mit ihr, seiner Schöpferin, verfuhr. In diesen Arbeiten kehrte sie ihr Innerstes nach außen.
Würde sie die Bilder irgendjemandem zeigen können?
Sie in der Ausstellung der Hochschule zu präsentieren, erschien ihr äußerst gewagt. Mussten ja schließlich nicht alle wissen, wie mies es ihr ging.
Und dennoch gab es etwas in Flori, das sie genau dazu drängte. Probeweise versuchte sie es bei Benka, der gerade für ein paar Wochen zurück in Berlin war. Ihre Trennung von Rufus Lindberg hatte er mit einem trockenen «wurde auch Zeit» kommentiert und dann seine Sonderstellung in Floris Leben wieder eingenommen. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied zu früher: Benka hatte sich während einer Fotosession für die Zeitschrift Brigitte in eine junge Hamburger Moderedakteurin verliebt, die seine Gefühle erwiderte.
«Karen ist einfach wunderbar», schwärmte er, ungewohnt sorgfältig gekleidet, mit dunkelblauem Rollkragenpullover, Flanellhose und Tweedmantel. «Sie ist immer freundlich, so fröhlich und heiter! Meine Deformation stört sie nicht. Die sieht sie gar nicht mehr, hat sie gesagt, stell dir vor, dabei ist sie selbst in meinen Augen absolut makellos.
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