Die Schutzlosen by Hiekkapelto Kati

Autor:Hiekkapelto, Kati [Hiekkapelto, Kati]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne, 2015
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00

13

Der Bericht über die Untersuchung des Opels von Marko Halttus Mutter war als dringend gekennzeichnet. Gespannt öffnete Anna die E-Mail. Bestimmt noch mehr Drogen oder irgendwelche Gangabzeichen, dachte sie, doch da täuschte sie sich. Anna las den Bericht zweimal – erst schnell, dann sorgsam Wort für Wort, wie um sich zu vergewissern, dass der Text vor ihren Augen wirklich existierte. Denn im Kofferraum des Wagens war ein überraschender Fund gemacht worden: Spuren eines Menschen. Blutflecke. Ein paar Haare. Hautepithelien. Ruf mich sofort an!, hatte Kirsti Sarkkinen an den Schluss ihres Berichtes geschrieben. Úristen, entfuhr es Anna. Was hat dieser Junkie bloß angestellt? Wer transportiert denn Menschen auf so eine Weise? In einen Kofferraum stopft man nur Tote. Oder Gefangene. Folteropfer. Niemand steigt dort freiwillig ein. Was ist in diesem gespenstischen Haus nur passiert?

Anna rief sofort bei Sarkkinen an. Aufgeregt und voller Eifer eröffnete die ihr: »Die Haare, die in Halttus Kofferraum gefunden wurden, passen zu Vilho Karppinen. Farbe, Länge und Struktur sind identisch. Wir müssen natürlich noch die DNA vergleichen, aber mit unseren Mitteln erzielen wir auch so schon ziemlich sichere Ergebnisse. Ich wage also zu behaupten, dass der alte Karppinen in diesem Wagen gelegen hat.«

»Das kann doch nicht wahr sein!«, rief Anna. Was sollte das bedeuten? Wie in aller Welt war Vilho in Halttus Kofferraum gekommen?

»Doch, es ist wahr«, erwiderte Kirsti ernst.

»Das würde natürlich erklären, wieso auf dieser Straße keinerlei Fußabdrücke gefunden wurden. Kein Wunder, wenn er im Wagen dorthin gebracht wurde.«

»Es macht die Ermittlungen allerdings noch komplizierter.«

»In der Tat. Demnach hatte Marko Halttu etwas mit Vilhos Tod zu tun. Jebiga, bassza meg.«

»Wie bitte?«

»Ach, nichts.«

»Außerdem wurden im Wagen noch weitere Haare gefunden. Schwarz, garantiert nicht von einem Finnen. An der Kopfstütze des Beifahrersitzes.«

»Tatsächlich? Das wird ja immer interessanter.«

»Habt ihr nicht diesen Paki in der Zelle?«

»Ja, Sammy. Seine Vernehmung steht mir heute auch noch bevor.«

»Gut, dann frag ihn nach dem Wagen.«

»Darauf kannst du dich verlassen.«

Anna war wütend. Sie hätte es vorgezogen, Sammy nicht nach dem Wagen und den Haaren darin fragen zu müssen. Lieber wollte sie ihn aus dem Polizeigefängnis entlassen, ihm eine Wohnung organisieren und ihn auf eine Schule schicken. Ihn in einer Entzugsklinik behandeln lassen und ihm die Chance bieten, das normale Leben eines jungen Mannes zu führen. Esko würde mich umbringen, wenn er davon wüsste, dachte sie. Und nach Sammy sind Maalik und Farzad an der Reihe. Bin ich überhaupt noch fähig, Vernehmungen zu führen?

Auch Linnea hatte Anna eine E-Mail geschickt: den vorläufigen Obduktionsbericht zu Marko Halttu. Linnea schätzte, dass der Tod rund achtundvierzig Stunden vor dem Auffinden der Leiche eingetreten war. Sammy hatte also völlig stoned bei einem Toten in der Wohnung gesessen.

An Halttus Körper befanden sich überdies Blutergüsse, die jedoch etwa einen Tag vor seinem Tod entstanden sein mussten: am Brustkorb und an beiden Armen, dazu ein großes Hämatom am linken Oberschenkel. Auch die Wunde an der linken Schläfe musste etwa zu dieser Zeit entstanden sein. Sie hatte stark geblutet. Linnea vermutete, dass Halttu in eine Schlägerei geraten war. Die Verletzungen waren jedoch nicht tödlich gewesen.

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